: Die süße Rache der trägen Sieben
■ Mit Trash, deutscher Mär und amerikanischer Show zeigen die Geschwister Pfister das Grimmsche Schneewittchen im Hebbel-Theater
Mit ihrer neuen Produktion, hatten die Geschwister Pfister schon im Vorfeld erklärt, wollten sie sich vom Zwang befreien, ständig die Geschwister Pfister spielen zu müssen. Also agiert Christoph Marti in „The Voice of Snow White“, das vergangenen Freitag im Hebbel Theater uraufgeführt wurde, nicht mehr als Schwyzer Charmebolzen Ursli Pfister, sondern er spielt Ursli, wie er sowohl die Grimmsche böse Königin als auch Joan Crawford darstellt. Kompliziert? Ja und nein, denn bei dem Bemühen, die hanebüchene Psychologie zwischen Stiefmutter und Königstochter, zwischen Rabenmutter Crawford und ihrem Adoptivkind Christina („Geliebte Rabenmutter“) auszuloten, kommt der spezifische Ursli- Charme nur selten zum Einsatz.
Urslis böse Königin Joan ist freilich kaum mehr als ein Abziehbild lächerlich-brutaler Divenallüren – was überhaupt nicht schlimm wäre, hätten sich die Pfisters nicht in den Kopf gesetzt, dieses eine Mal so etwas wie ernsthaftes Theater machen zu wollen und keinen turbulenten Spaß. So kommt es, daß sie Pointe um Pointe vorbereiten, nur um ihr anschließend mit schweizerischer Bedächtigkeit aus dem Weg zu gehen. Das reizt zwar auch zum Kichern, ist aber wohl eher als süße Rache an der Erwartungshaltung des Publikums zu verstehen.
Natürlich beherrschen die drei Pfister-Darsteller ihr Handwerk nach wie vor. Andreja Schneider besticht mit kroatischen Balladen und – gemeinsam mit Tobias Bonn – mit Musicalmelodien. Allein, die konsequent amerikanisch vorgetragene Story von der grausamen Diva ist heute so abgegriffen wie die Mär vom Schneewittli und den sieben Zwergli.
Da die Pfisters so ungewohnt zurückhaltend agieren, kann Walter Schmidinger als Märchenonkel aus dem Off zum Star des Abends werden. Der nämlich liest die Urfassung des Grimmschen Werks mit soviel altersschrulligem Suspense, daß man ins Grübeln kommt, ob man eigentlich die alten Märchenplatten aus der Kinderzeit noch irgendwo aufbewahrt hat. Schmidinger ist der einzige, der an diesem Abend allein durch seine Freude am Vorlesen gräßlicher Partien aus der Urfassung des Grimmschen Plots den Willen zu literarischem Trash erkennen läßt.
Zum Ende allerdings gönnt sich auch Ursli Pfister noch einen großartigen Spaß. In „The Voice of Snow White“ nämlich findet die böse Königin tatsächlich das vorgeschriebene schlimme Ende: „Da waren eiserne Pantoffeln im Feuer glühend gemacht, die mußte sie anziehen und darin tanzen, und ihre Füße wurden jämmerlich verbrannt, und sie durfte nicht aufhören, bis sie sich zu todt getanzt hatte.“ Ursli Pfister erledigt diesen Part herrlich unhysterisch in der steinernen Maske der Uta vom Naumburger Dom. Und singt dazu „Sayonara, Tokio“. Reinhard Krause
Weiter Vorstellungen: Hebbel- Theater: bis 14.Februar, 20 Uhr;19. bis 31. März, 20 Uhr und 13. bis 25. April, 20 Uhr
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