: Wieland-Reisen, Gesamturteil: sehr dubios Von Jürgen Roth
Bevor demnächst, „wo selbst öffentliche Münzfernsprecher überflüssig werden“ (NZZ, 5. Januar 1999), die den nuklearen Overkill beerbende „Informationsbombe“ (Paul Virilio) hochgeht und das Telekommunikationszeitalter explodiert – bevor das Unvermeidliche geschieht, darf ich der Wirklichkeit ein letztes Mal zu ihrem Recht verhelfen und schildern, was neulich geschah.
Herr Wieland und ich hatten einen Kurzurlaubstrip nach Weimar geplant und beabsichtigten sogar, später Bad Kösen heimzusuchen. Am Speisewagentisch saßen wir, und Wieland sah dem Ziel unserer Unternehmung freudig entgegen. Bald indes stellte er fest, daß sein Handy, das angeschafft worden war, den noch etwas jungen Sohn – so der Partner mit ihm und Auto irgendwohin fahre – anpeilen, ausfragen und überwachen zu können, daheimgeblieben war. Also mußte Herr Wieland den aus der Mode gekommenen Weg des Erkundungsrufes per Telephonzelle bestreiten. Weimars Bahnhofsvorplatz lag leider in architektonischer Agonie, und die ersten Schritte durch die keineswegs „herausgeputzt“ wirkende „Kulturstadt Europas 1999“ galten weniger den herumstehenden Gebäudlichkeiten, sondern dem Vorsatz, „auf der Stelle eine Zelle“ (Wieland) zu finden.
Nach einer guten halben Stunde war sie erreicht, doch ließ sich „keine Verbindung“ (Wieland) herstellen. Wieland zwang uns in ein frisch zerstörtes Bistro, hieß mich bestellen und zog sofort von dannen. Der Apparat bei den Toiletten sei seit einem Jahr „gestört“, klärte hernach die Bedienung auf. Wielands Mißmut wuchs. Am Frauenplan stand wieder einer, ich sollte „schon mal rüber ins Café und einen Tisch besetzen“, tat's und hörte Minuten später von „einem Defekt“. Gleiches widerfuhr Commander Wieland nahe der Ilm, nahe dem Hause von Stein, an der Carl-August-Allee und am Herder- beziehungsweise am Schillerplatz, wo „zwei verdammte Häuschen nicht funktionieren, das heißt“, fuhr der moderat zornige und womöglich geknickte Reiseboß fort, „einmal war besetzt“.
Wir flohen Weimar mit einem Mietwagen, die nächtens frivol leuchtenden Tankstellen Richtung Apolda kannten keinerlei Telekommunikation, und Bad Kösen, pittoresk zwischen zwei Berge gedrückt, wollte uns nur hoch droben Unterkunft gewähren – in einem ehemaligen Betriebserholungsheim. Dessen gesamte Funkapparatur stand, erklärte die „Leitung“, mausestill. Ich griff am nächsten Morgen zu meinem Zimmertelephon und wählte flinker Hand Frankfurt an. Beim Frühstück rapportierte Herr Wieland, sein Fernsprecher sei vermutlich bereits sehr frühzeitig abgeklemmt worden, wir müßten unten, im Ort, da stünden etliche dieser... usw. usf.
Im Marktrestaurant befahl Touringgeneral Wieland, zurückgekehrt vom rosafarbenen Blechverschlag vis-à-vis, dann: „Schreib das auf! Das glaubt sie mir sonst nie!!“ Gut, ich hab's getan. Dennoch: Wäre virtuelles Reisen nicht eventuell kommoder gewesen – aus dem feisten Ledersessel via Internet Weimar sezieren, das Handy griffbereit? Um jederzeit an den Herd oder zum frühfußballernden Filius in den Flur zu funken? „Charles, alles roger?“ – „Allens kloar, Alder!“ – „Okay, ich meld' mich wieder.“
Ich meine ja wohl: ja.
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