: Kein Jeck ist illejal
Der politische Alternativkarneval im Rheinland feiert sich selbst, belacht das rot-grüne Elend in Bonn und hat seinen Skandal in Köln ■ Aus Aachen, Bonn und Kölle Bernd Müllender
Gäääähn! Nein, bitte nicht! Kann man das – haha: abgelutschte – Thema Clinwinsky, das schon dermaßen – haha: penetrant – in – hahaha: aller Munde – war, noch toppen, veralbern, überhaupt thematisieren? Doch, man kann. In Köln. Mit der Schlußnummer der Stunksitzung. In wunderbar rührender Weise.
Da wird, um auch Kindern zu erklären, wie Sex geht, ohne Sex zu haben, eine riesige Augsburger Puppenkiste angerollt. Das brummbassige Walroß woaiß, was alles bedoitet und singt uns in die Thematik vom Woaißen Haus ein. Da sehen wir eine putzwütige Hillewutz („Öff, öff“) herumfegen und ihr kleines Urmel Clintlein, das, wie wir vom onkelhaften Erzähler am Bühnenrand gesagt bekommen, immer so gerne an sich urmelt, dabei aber solche Flecken in sein Urmel-Office macht. Oben am Kistenrand zupfen sich die Marionettenspieler-Spieler in Rage, hecheln die Dialoge nach unten, wo die Echt-Akteure immer aufgeregter umherzappeln.
Da kommt die piepsige Lepingsky und hüpft mit dem Urmel Clintlein in die große, große Mupfel. Ganz diskret natürlich: „Spermazu, Urmili.“ Alles wäre gut, wenn da nicht – wie ein machtloser König Pumpernel – der fiese Jäger Starrponel mit der knallenden Flinte auftauchte, spielverderbend häschernd herumliefe und schließlich ein gemeines gemeines Sekret erließe. Aber das clevere Clintlein entkommt ihm: „Ich bin ein Schlawiner.“
Da tobt der kölschgenährte Saal endgültig: Gut tausend Leute, durchweg in dem Alter, in dem sie mit Urmelis und Mama Wutzens Abenteuern groß wurden, haben Tränen in den Augen.
Man kann es den Karnevals- Verächtern jenseits der Rheinschiene nicht oft genug sagen: Karneval ist nicht nur das peinliche Zotengebrabbel und suffgetränkte Grabschgeschunkel armer verklemmter Seelen, mit dem uns das Fernsehen derart inflationär zuscheißt, daß ein Abschalten so schwer ist wie beim deutschen AKW. Nein, Karneval jenseits der Tuschzwanglustigkeit ist auch jene deftige Parodie von Karneval, die es seit den späten 80er Jahren in Bonn, Köln und Aachen gibt. Mit brillantem Kabarett, Klamauk, Revue und viel Musik. Kult überall, für den die Enthusiasten nachtlang um Karten anstehen. In Köln (Gesamtzuschauerzahl 36.000) und Bonn sind die Gegenjecken seit ihren Sylvesterpremieren fünf- bis sechsmal wöchentlich zugange, in Aachen seit vergangenem Wochenende.
Dort, auf der Strunxsitzung, herrscht das engste Treiben, publikumsintegrierend, ausgelassen, schillernd bunt, archaisch, mit anschließender Party bis 6 Uhr morgens. Eine Halbhundertschaft örtlicher Bühnenprofis sowie Naturtalente aus grüner Lokalpolitik toben in wildem Wechsel über die Bühne; allesamt gute Non-profit- Amateure mit dem Charme knapp unterhalb der Perfektion. In Köln dürfen Lehrer mitlachen – hier dürfen sogar einzelne mitmachen. Die Sensation: Es geht.
Aachens Top-Act: Erich Klonecker, der „wieder auferstanden aus Ruinen“ zurückgekehrt ist, sich zittrig, faustschwingend, gram und greis anklagend durch der Zeiten Läufte sächselt und seine politische Unsterblichkeit verkündigt: „Genoss'n! Genossinn'n! Auch wenn d'r Leberkräbs dir droht – es gibt ein Läb'n nach dem Tod.“ Der grüne Parteigänger unter Erichs Hut verhöhnt die konterrevolutionären Seinen („Wenn Trittin die Atomtransporte erlaubt, werden Audonome und CDU bald Arm in Arm bloggierend dastehn...“) und entschwindet zum einheitssozialistischen Ein-Mann-Aufmarsch in Aachens Karl-Marx-Allee.
Dazu reichlich Gesang, Slapstick und zur Musik der „West K. Pelle“ Kollektivschunkeln und die donnernde Strunx-Hymne: „Wir lieben den Skandal, drum singt der ganze Saal: Total ejal, total ejal...“ Die spottmauligen Moderatoren Herr Zins und Herr Hammers mit ihren „juweliergeschliffenen Dialogen“ (Aachener Zeitung) sind wahrscheinlich längst die heimlichen Vorbilder von Hauser und Kienzle. Und als in triefernster Komik die beiden Akteure vom formidablen „Wall Street Theatre“ beginnen, die britische Fahne zu hissen, kommen wie auf Kommando die 500 Leute im Saal dem Tontechniker zuvor und intonieren „God save the Queen“.
Etwas anders Bonns PinkPunk. Das Publikum (nur 250 passen hinein) ist konsumistischer, die Show wird geprägt von den beiden Profi- Kabarettisten Rainer Pause und Norbert Alich vom Pantheon- Theater. Die erste Hälfte ist ein Klamauk-Feuerwerk dreistester Bösartigkeiten über das Rollkommando Schäuble, mit lokalpolitischen Kampfliedern und einer quietschkomischen Diashow wider das böse Berlin sowie der Erkenntnis über Joschka Fischer: „Früher war der so feist und galt als Franz Josef Strauß der Grünen. Jetzt denken alle im Ausland, wir nagen hier am Hungertuch, und die Asylanten werden sich überlegen, ob sie in solch ein Land kommen.“ Tusch. Bumm. Solle mer se denn überhaupt reinlasse? Ach, mer sollte alle jönne könne.
Und, zu den Roten: „Das Rentenproblem ist ein Fortpflanzungsproblem: Schröder ist viermal verheiratet und hat keine Kinder. Typisch SPD: oben große Klappe, unten Reformstau.“ Publikums steigende Mitsangeslust wird mit der „Deutschen Volksliederfürsorge“ bedient: Bitte mit Sahne auf gelbem Wagen. Aber Albernheiten werden kaum besser, wenn man sie, vermeintlich angewidert, als Zitat des Normalkarnevals tarnt: „Was sucht ein Einarmiger in der Fußgängerzone? Einen Secondhandshop.“
Kein Jeck ist illejal: In Köln, bei der perfekt durchkonzipierten Show (seit 1998 endgültig ohne Jürgen Becker), machen sie, wie so oft, lieber gleich Skandal. Dieses Mal nicht um den Bischof oder seinen Lattenchef, sondern mit der Nummer „Hey Jude 2000“. Darin spielen Werbefuzzies im Marketing-Sprech das Konzept für eine kostengünstige Versöhnungskampagne der deutschen Industrie durch: Image machen mit Mercedes J-Klasse und David-Stern, mit dem Würfelspiel „Mosche, ärgere dich nicht“ und prickelndem Kristallnachtweizen.
Die jüdische Gemeinde war empört: „Unfaßbar!“ „Antisemitisch!“ Es setzte Stürmer-Vergleiche. Besonders attackiert wurde das Zitat: „Taste the jewish culture: Ohne Rauch geht's auch.“ Nicht die Mordgehilfen der Industrie kamen auf die Anklagebank, sondern die stunkernden Ankläger. Die bekannt humorfreie Frankfurter Rundschau befand: „schwer daneben“. Und im Chefredakteur des heimischen Stadt- Anzeigers wuchs die Erkenntnis, daß tabu tabu zu bleiben habe. Er lud zum werbeträchtigen Versöhnungsgespräch. Ergebnis: Die Nummer blieb.
Dabei ist der Sketch nicht mal überirdisch gut. Als er startet, rücken sich viele im Saal etwas aufrechter hin: Man weiß schließlich aus der Presse, was kommt. „...der neue Audi 33“ – manche würgen durchaus am Lachreiz; „natürlich mit Warnhinweis der Autohersteller: So was darf nie wieder passieren!“ – und manchen vereisen demonstrativ die Gesichtszüge: Ja, „das Leben ist schön“ – aber eben nur in Roberto Benignis KZ.
In Aachen lacht sich Demokratie-Spezialist Honecker II schlapp über die Naivität der Grünen: „Die glauben, sie sind an der Macht, dabei sind sie nur an der Regierung.“ In Köln toben die Kleinen Grünen Strolche über die Bühne: „Wir sind an der Macht und können nichts machen. Vielen Dank für euer Vertrauen – wir wollen es verbrauchen.“ Im PinkPunkPantheon haben sie zwar noch Schwierigkeiten, grot-gün oder got-rün überhaupt auszusprechen, aber als Bonner natürlich den besten Durchblick: „Alles wird anders. Aber nichts ändert sich.“
Manchmal wünschte man sich noch mehr Politik. Gerade jetzt in der ersten Wende-Session. Noch mehr böse Büttenreden und Hohngesänge auf Schröder- Deutschland. Aber alle Macher wissen, daß nuancierte Hintergründigkeit nur am Anfang eines Abends funktioniert: Später zeigt auch der Alternativ-Jeck alkoholbedingte Mitdenklähmung. Dann will man Pavarotti als Guildo, manche halten sogar Bohlen/Feldbusch noch für parodierensfähig. Lebensnahe Dramen treffen immer – so wie dieser Kölner Kurz- Dialog. Sie: „Du, ich muß mal mit dir reden.“ Er: „Schon wieder?“
Eigentlich bräuchte es zu vielem den Karneval weder als Anlaß noch als Treibsatz. Kabarett und Klamauk gehen schließlich auch ohne Pappnas'. Doch gerade der Kölner Stunk (ge-)braucht Karnevalslieder und -rituale als Blaupause. Besseres Parodiematerial wäre kaum auszudenken, und so kann sich auch das erste weibliche Dreigestirn („Ich bin die Bauer“) in seiner ganzen emanzipierten Blödheit („Ich bin Frau Jung“) selbst verarschen. Und da entsteht die schönste Nummer tuschlandweit: Im pantomimischen Sketch lebt eine unterleibslose Tanzmariechen-Puppe verliebensbedingt plötzlich los. Grandissimo! Allein dafür lohnt der Blick ins Fernsehen (siehe Kasten unten).
Der Abschlußvergleich? In Zeiten, wo Kabarett durch flache Comedy und billigen Unterhaltungsfirlefanz verdrängt wird, hat Bonn die böseste karnevalistische Politshow. In Aachens kochender Enge versammeln sich alle, die sich kennen, verhöhnen vor allem lokalpolitische Grotesken und feiern ein rauschendes Familienfest. Und in Kölns kultig-professionell kostümgigantöser Größe, wo sie längst in TV-Tauglichkeit denken und wo verdächtig viele Autos mit ortsfremden Nummernschildern (selbst ein D war zu sehen) vorfahren, lernen sich alle noch schneller kennen, als das Kölsch durch die Kehlen rauscht. Zu groß schon? Einer sagt: „Gern würden wir mal wieder kleine, richtig gewagte Nummern machen.“ Doch sie sind die lustigen Sklaven ihres Erfolgs: „Das geht leider nicht mehr.“
Eine Gesamtwertung? Der Wohnort des Reporters läßt keine letztendlich karnevalspolitisch korrekte Objektivität zu. Entscheiden Sie lieber selbst – mit unserem streng faktenorientierten taz-Test und einem dreifach donnernden Helaaf und Alau in alle trostlosen Diasporen!
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