: Greenpeace will seine Krise durch „Neuorientierung“ meistern. Nach dem Rauswurf von Walter Homolka, dem Mann aus der Wirtschaft, der den „bürokratischen Zentralismus“ zu knacken versuchte, soll ein Greenpeace-Urgestein den Laden in Schwung bringen Von Matthias Urbach
Greenpeace macht eine Rolle rückwärts
Wenn es nicht gut läuft, ist es immer nützlich, einen Schuldigen zu haben. Das lenkt von eigenen Fehlern ab. Im Greenpeace-Büro am Hamburger Hafen heißt der Sündenbock Walter Homolka. Der Geschäftsführer wurde nach zehn Monaten auf Drängen der Bereichsleiter, des mittleren Managements des Umweltriesen, am Freitag vom Aufsichtsrat entlassen.
Die Ironie: Eigentlich sollte Homolka gerade den Apparat, der ihn nun stürzte, auf Trab bringen. Der Aufsichtsrat hatte bewußt einen Manager aus der Wirtschaft gewählt, um durch ein „Element der Verfremdung neue Impulse ins Haus zu bringen“, wie Aufsichtsratschef Wolfgang Sachs erklärt. Viele Greenpeacer hatten gehofft, Homolka werde den „bürokratischen Zentralismus knacken“. Auf sein Scheitern reagiert der Aufsichtsrat mit einer Rolle rückwärts: Die neuen Impulse sollen nun aus dem Haus kommen. Das Wort von der „inneren Demokratisierung“ macht die Runde.
Der Sinneswandel des Aufsichtsrates kam überraschend. Am Samstag hieß es noch offiziell, man werde sich mit der Suche nach einem Nachfolger Zeit lassen. Schon am Sonntag wurde die Suche eingestellt, man gab die Reduzierung der dreiköpfigen Geschäftsführung bekannt: Alleinige Chefin wurde die bisherige Stellvertreterin Homolkas, Brigitte Behrens.
Am Montag vormittag trat Behrens vor die Büroversammlung und erläuterte die neue Linie: Im kommenden halben Jahr solle ein Umdenken stattfinden, sie appellierte an „die Eigenverantwortlichkeit“ der 130 Mitarbeiter und bat um Vorschläge. Das neue Ziel heiße „Dezentralisierung“, die einzelnen Bereiche müßten sich mausern. Ihr Vortrag dauerte nur zehn Minuten, ein paar Fragen – und nach einer halben Stunde war die Veranstaltung vorbei.
Der Aufsichtsrat sieht Behrens eher als Moderatorin für diesen neuen Prozeß, ein Mister Greenpeace, wie vor drei Jahren noch Thilo Bode, soll es nicht mehr geben. „Greenpeace hat viele Gesichter“, so das neue Motto. Wenn der Impuls von außen nicht fruchtet, so die schon etwas verzweifelt anmutende Überlegung, dann muß die Erneuerung eben von innen kommen. „Wir setzen darauf, daß durch diese Krise eine Neuorientierung ausgelöst wird“, so Wolfgang Sachs zur taz.
Die organisatorische Krise bei Greenpeace ist Ausdruck einer viel tiefer liegenden Sinnkrise. Greenpeace ist in seiner über 18jährigen deutschen Geschichte groß geworden mit Aktionen gegen Umweltfrevler – gegen „Verschmutzungstäter“, wie Sachs sagt. Die gibt es heute nicht mehr. Diejenigen, die die Umwelt verschmutzen und Natur verbrauchen, sind anonymer geworden, einzelne Täter sind kaum noch auszumachen. Oft ist es die Masse der Konsumenten, unsere Lebensweise. Wenn heute Greenpeace gegen Gentechnik Aktionen macht, „haben sie kein Gegenüber mehr“, stellt Aufsichtsratssprecher Sachs nüchtern fest, „kein AKW, wo man obendrauf steigen kann. Das ist eine leise, anonyme Bedrohung.“ Auch müsse man heute die „soziale Frage“ berücksichtigen.
Rot-Grün stellt Greenpeace zusätzlich vor neue Fragen. Reicht es, weiter für einen Sofortausstieg zu plädieren, oder sollte man Umweltminister Jürgen Trittin nicht lieber gegen die Atomindustrie und einen Großteil der Medien in Schutz nehmen? Und, wenn ja, wie macht man solche Realpolitik? Einige Greenpeacer haben es satt, „wie die Grünen in Bonn abgemeiert werden“, und wollen nicht einfach noch mal draufhauen.
Hinderlich an einer Neuorientierung ist bei Greenpeace – anders als etwa bei den Grünen – ausgerechnet der Erfolg. Seit Jahren steigt die Zahl der Fördermitglieder langsam, aber stetig auf inzwischen über eine halbe Million. Auch die Spenden und sonstige Einnahmen halten sich seit 1992 auf dem hohem Niveau von jährlich über 65 Millionen Mark, mit einem kleinen Höhepunkt von über 70 Millionen Mark im Jahr von „Brent Spar“. Der Umweltverband ist träge geworden. „Wir brauchen den Druck, um uns zu ändern“, so ein Insider.
Der Aufsichtsrat will zwar nicht von „Verkrustung“ reden, gibt aber inzwischen eine „Verharschung“ zu. Ex-Greenpeacer wie der ehemalige Kampagnendirektor von Greenpeace International, Ulrich Jürgens, klagen seit Jahren schon öffentlich über eine „Buchhaltermentalität“. Die Erneuerung wird nicht leicht. „Die Bereichsleiter verhindern viel“, sagt ein Insider. Sie haben wahrscheinlich auch den Sturz von Homolka vorbeitet, mit gezielten Indiskretionen gegenüber dem Spiegel. Er fahre zuviel Taxi, fliege zuviel Kurzstrecke und sei auf Aktionen nie präsent. Dabei reisen Geschäftsführung und Bereichsleiter mehrheitlich mit dem Auto an. Auf den hochgelobten Ex-Geschäftsführer Thilo Bode, jetzt Chef von Greenpeace International, traf dies auch alles zu. Er besaß ein Auto – Homolka hat nicht mal eins.
Homolkas Defizit allerdings war, daß er von Umweltpolitik doch zuwenig verstand, um Impulse für die Neuorientierung zu geben. Auch fehlte es ihm offenbar an dem nötigen Fingerspitzengefühl, um die alten Strukturen aufzubrechen. „Homolka war nicht das Problem“, so ein Mitarbeiter. Aber trotz der „Beharrung der Bürokraten“ hätte er „nach zehn Monaten wenigstens etwas durchsetzen müssen“. Hat er aber nicht.
Ein Grund war sicher auch die Blockade innerhalb der Geschäftsführung. „Die waren sich spinnefeind“, sagt ein Mitarbeiter. Die Bereichsleiterkonferenz aber habe „immer nach oben gestarrt und auf Befehle gewartet. Das war natürlich auch bequem.“ Die Kampaigner, die die Aktionen organisieren und durchführen, waren ruhiggestellt. „Wenn die Behrens gut ist, dann fordert sie jetzt endlich Leistung ab“, hofft ein Mitarbeiter.
Viele wünschen sich endlich wieder ein offeneres Klima. Wie zerfahren und auch angsterfüllt die Situation ist, zeigt, daß niemand offen über Greenpeace reden will: „Aber zitieren Sie mich bitte nicht“, so endet jedes Gespräch. Ausgerechnet der Aufsichtsratssprecher spricht ein offenes Wort. Wolfgang Sachs sieht auch einen Ansatz für die Zukunft: Greenpeace müsse unbedingt den Ansatz über die Verbraucher stärken, wie das bereits mit den Aktionen „EinkaufsNetz“ und „Stromwechsel“ praktiziert werde. Hier gelte es, zusammenzuführen, was bisher an ein paar „losen Fäden“ hänge.
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