: Auschwitz ist wirklich
■ Der Film Ist die Erinnerung wasserlöslich? zeigt die Gegenwärtigkeit des Holocaust
Das Prinzip der Wiedergutmachung hat etwas Monströses, zumal, wenn es im Zusammenhang des Holocaust verhandelt wird. Die absolute Hilflosigkeit gegenüber den Opfern unauslöschbarer Taten muß sich als Regierung trotzdem handlungsfähig zeigen, doch die bleierne Scham strickt überall Fehler ein. Das Verhalten der deutschen Regierungen der letzten 50 Jahre schwankt deshalb zwischen den unterschiedlichen Gesten herrschaftlicher Ohnmacht: Verdrängung, Ausgleichszahlungen, Arroganz. Denn wiedergutmachen kann man da nichts, Heilung ist unerreichbar, „nur Linderung ist möglich“.
Das sagt Solange Najman, französische Überlebende der deutschen Vernichtungslager Auschwitz und Bergen-Belsen und „Nutznießerin“ eines der paradoxesten Wiedergutmachungsprogramme. Konrad Adenauer ließ 1952 beschließen, daß die Überlebenden der Konzentrationslager alle zwei Jahre eine Kur vom deutschen Volk bezahlt bekämen. Eine absurde Szenerie aus dem Blickwinkel des Tätervolkes: Das Bild des wonnebringenden Sanatoriums soll das Bild des menschenverachtenden Lagers überdecken und damit das Gewissen erleichtern. Aus der Perspektive der Opfer zweier deutscher „Behandlungen“ werden die Gegensätze aber erst wirklich schmerzlich. Denn daß die nie mehr zu kurierende Erinnerung jede Sinnlichkeit beschwert, verändert, belastet, wenn sie diese nicht unmöglich gemacht hat. das zeigt der Dokumentarfilm Ist die Erinnerung wasserlöslich?
Das Porträt der Mutter des Filmemachers Charles Najman, die er nach Evian zum Kuraufenthalt begleitet hat, zeigt eine Frau, die ihre überschäumende Lebensfreude immer ins Verhältnis zum begleitenden Horror der Erinnerung setzt. Mit ironischen Bemerkungen oder schonungsloser Offenheit korrigiert Solange Najman die Kulisse von Frieden und Gesundwerdung konsequent, ohne sich selbst die „Lust am Leben“ zu verbieten. Solange lacht, singt, tanzt und flirtet in einer Heftigkeit, die man ohne biographische Kenntnisse durchaus als anstrengend empfinden kann. Doch ihre Erzählungen vom Lagerleben, vom besinnungslosen Quälen und Morden, von Terror, Willkür und nackter Angst führen das Moment völliger Unsicherheit an, das eine Bewertung dieser fröhlichen Selbstdarstellung verwehrt. Der Hintergrund der schlimmsten uns vorstellbaren Vergangenheit läßt nur eine respektvolle Beobachtung zu.
So bemüht sich Najman auch nicht um Ästhetik, eine geschlossene Form, deren inszenatorische Diktatur nirgendwo so unpassend wäre wie hier. Die Kamera ist anwesend, hält fest, was man ihr gibt, und sammelt so jene Atmosphäre von Alltäglichkeit auf, die das vergangene Grauen viel besser durchscheinen läßt als jede Einblendung historischer Dokumente. Und so vermittelt der Film in seiner Unaufdringlichkeit eine in allen aktuellen Debatten so oft ausgeblendete Erkenntnis: Auschwitz ist wirklich, heute, hier. Es hat eine Gegenwart und ist nicht gebannt in Archive. Diese Konsequenz aufzuspüren, ohne sie gleich wieder mit Moral zu ersticken, ist menschliche Wiedergutmachung.
Kees Wartburg
Do, 11., 19 Uhr; Sa, 13., 17 Uhr; So, 14. Februar, 19 Uhr, Metropolis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen