: Tanken am Rand
■ Statt in der Neuen Mitte: Ólafur Sveinsson erzählt von einer Moabiter Nachttankstelle
Berlin Moabit, Paulstraße, Ecke Lüneburger Straße. Von hier bis zum Schloß Bellevue und den Baustellen, aus denen sich Kanzleramt und Lehrter Bahnhof herausschälen, sind es nur wenige Schritte. Dort entsteht, was man, seit Schröder Kanzler ist, die Neue Mitte nennt. Diesseits der Gleise, in der sozialen Problemzone, bekommt man davon nicht viel zu spüren – vom Baustaub einmal abgesehen. „Der Kleene is' immer der Dumme, die Großen sahnen ab“, sagt ein Rentner im unverwechselbaren Berliner Idiom. Sein leicht sächselndes Gegenüber hat da nur schwachen Trost parat: „Aber die Reichen müssen auch ins Gras beißen.“
Die beiden Rentner, Frühaufsteher mit unverkennbarem Hang zu Bier und Korn, begegnen sich mit schöner Regelmäßigkeit in der DEA-Tankstelle, die an der Paulstraße liegt, gleich bei den S-Bahn- Gleisen. Rund um die Uhr hat sie geöffnet und dient als Anlaufstelle für eine Menge Menschen, die eher Unterhaltung und Zuspruch als Benzin wollen. Der isländische Filmemacher Ólafur Sveinsson hat diese Stadtbewohner in seiner dffb-Abschlußarbeit porträtiert; herausgekommen ist die wunderbar lakonische Dokumentation „Nonstop“. Wer schon immer wissen wollte, wie es um Rhythmus, Lebensgefühl und Launen der Stadt und ihrer Bewohner bestellt ist, sobald man die Hackeschen Höfe, die Friedrichstraße und die zahlreichen (Sub-)Kulturareale hinter sich läßt, wird hier fündig.
Ólafur Sveinsson läßt die berüchtigte „Berliner Schnauze“ ausgiebig zum Zug kommen. Dabei schimmern eine Menge traurige und wundersame Geschichten durch: etwa die von der Mann- zu-Frau-Transsexuellen, die zunächst im Kreuzberger Club SO 36 nach Gespielinnen Ausschau hält und sich dann auf ihre „politischen Wurzeln“ besinnt. Plötzlich tritt sie als Skinhead ins Bild. „Zu viele Ausländer“, schimpft sie, verliert freilich kein Wort darüber, wie es einer transsexuellen Lesbe in der rechten Szene so ergeht.
Oder die Geschichte von den beiden portugiesischen Arbeitern, die in Containern gleich neben den S-Bahn-Gleisen wohnen. Beide schimpfen auf die miesen Arbeitsbedingungen und auf ihren ausbeuterischen Chef; beide wünschen sich ein bißchen Zärtlichkeit, für die in den Vier-Bett-Kammern der Container kein Raum ist. Einmal machen sie sich fein und gehen in ein brasilianisches Lokal, wo sie vom Tanzen nur träumen, während alle anderen es tun. Als sie zurückkommen, begegnen sie am Stehtisch der Tankstelle dem schlaflosen, betrunkenen Rentner. Wie die drei Männer um fünf Uhr in der Früh aneinander vorbeireden, auf portugiesisch, berlinerisch und pseudorussisch, das darf man getrost zu den schönsten Dialogen der diesjährigen Berlinale rechnen. Cristina Nord
„Nonstop“: 11.2., 15 Uhr, 21.2., 18 Uhr, jeweils im Arsenal
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