Ticket für die fremd gewordene Heimat

■ 16jährigem Schüler droht Ausweisung / Proteste von MitschülerInnen und Lehrerinnen

Erst einmal einen guten Schulabschluß machen und eventuell eine Berufsausbildung dranhängen, so hatte sich der 16jährige Aytekin Can seine Zukunft ausgemalt. Jetzt sind die Pläne des jungen Türken akut bedroht. Am 30. September soll Aytekin, der seit drei Jahren in Deutschland lebt, in die Türkei ausgewiesen werden. Die Ausländerbehörde hatte seinen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt. Der Grund: „Die Regelung für den Familiennachzug gilt nur, wenn Jugendliche zu den Eltern nachziehen wollen“, erklärt der Pressesprecher des Hamburger Einwohnerzentralamts, Norbert Smikal. Das sei hier aber nicht der Fall. Es gebe noch einen Vater in der Türkei, der für den Jungen sorgen könne. Außerdem hätte sich Aytekin zwei Jahre illegal in Deutschland aufgehalten, so Smikal. Das allein sei schon ein Ausweisungsgrund. Aus Sicht der Behörde gebe es keine Möglichkeit, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen.

Vor drei Jahren war der 16jährige nach Deutschland gekommen, um seinen Bruder in München zu besuchen. Sein Vater war sehr krank und seine Mutter bereits lange tot. Da sich die Situation des Vaters in der Zeit noch verschlechterte und sich in der Türkei sonst niemand um den Jungen hätte kümmern können, sollte Aytekin in Deutschland bleiben. Sein Bruder beantragte die Vormundschaft. Der Junge zog zu einer Tante nach Hamburg. Zunächst besuchte er hier eine Vorbereitungsklasse. Seit eineinhalb Jahren ist der junge Türke in der zehnten Klasse der Erich-Kästner-Gesamtschule.

Seine MitschülerInnen sind bestürzt über die jetzt angedrohte Ausweisung. „Zum ersten Mal werden sie direkt damit konfrontiert, was es heißt, in Deutschland Ausländer zu sein“, sagt die Lehrerin Marianne Nehrkorn. Um Aytekin zu helfen, schrieben sie spontan Briefe an Bürgerschaftsabgeordnete und schickten eine Petition an den Eingabeausschuß der Bürgerschaft. Sie fordern, daß Aytekin bis zu seinem Schulabschluß in Hamburg bleiben kann. 500 UnterstützerInnen haben diesen Appell bereits unterschrieben.

Auch die LehrerInnen der Gesamtschule setzen sich für den türkischen Jugendlichen ein. Sie verfaßten einen offenen Brief an die Innenbehörde. Darin heißt es: „Es ist uns unverständlich, warum ein Schüler, der sich so hervorragend in der deutschen Schule entwickelt hat und den nur ein knappes Jahr von seinem Abschluß trennt, nun aus seinem Arbeits- und Lebenszusammenhang gerissen werden soll.“

Die LehrerInnen befürchten, daß die Ausweisung in eine ihm fremd gewordene Stadt, in der er ganz auf sich selbst gestellt sei, schlimme Auswirkungen auf die „persönliche Stabilität“ des „sensiblen Heranwachsenden“ haben werde. Und sie fragen nach der Glaubwürdigkeit der Demokratie: „Wie sollen wir den Schülern die Bedeutung des Artikels drei des Grundgesetzes klarmachen, wenn sie erleben, daß der Staat den Gleichheitsgrundsatz so eklatant verletzt? Warum, so fragen sie, werden Aytekin nicht die gleichen Bildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten zugestanden wie uns?“ Patricia Faller