: Integration light in Bremens Kitas?
■ Integration soll in Bremen künftig kleingeschrieben werden, befürchten die Träger der freien Kindertagesheime / Neues Konzept der Sozialbehörde sorgt für Unruhe bei Eltern und ErzieherInnen
Es gibt Kinder, die haben häufiger mal die Hummeln im Hintern. Manchmal so viele, daß sie professionelle Hilfe brauchen, damit sie nicht plötzlich kopfüber vom Hochbett hechten. Oder weil sie sonst, wie Robert in seiner Findorffer Kita, schon mal mit ihren vier kurzen Lebensjahren gestandene ErzieherInnen zum Weinen bringen. Mit tausenderlei Dingen warf er nach ihr in seiner Sehnsucht nach Aufmerksamkeit – wie soll eine einzelne Erzieherin mit achtzehn Kindern dann noch einen netten Morgenkreis hinkriegen?! „Eine Ausnahme“, sagt der Leiter der Findorffer Integrations-Kita: „Zwei Kolleginnen waren krank.“
Aber die freien Kita-Träger von den Kirchen bis zur Spastikerhilfe befürchten, daß diese Ausnahme jetzt zur Regel werden soll. Seit zwei Wochen kursiert ein Konzept der Bremer Sozialbehörde zur „Weiterentwicklung“ der Integration. Zumindest die ErzieherInnen von „Kindern mit besonderem Hilfebedarf“ (worunter zum Beispiel Robert fällt) lehrt dieses Papier das Gruseln. „Von Behinderung bedrohte“ Kinder – und dazu gehören auch seelische Behinderungen – sollen nämlich künftig weniger Ansprüche haben als zum Beispiel Rollstuhlkinder. Am vergangenen Donnerstag wurde das Konzept aus der Behörde von den Kita-Trägern harsch zurückgewiesen: „Alle hier, nicht zuletzt die Eltern, machen sich große Sorge um die Fortsetzung der Arbeit“, faßt Eva Maria Zarneckow von der Spastikerhilfe ganz vorsichtig ihre Empörung zusammen. Deutlicher wird Ilse Wehrmann vom Landesverband evangelischer Kitas: „Wenn wir keine pauschalen Pflegesätze mehr kriegen, in denen von Behinderung bedrohte Kinder mit behinderten gleichgestellt werden, dann fallen wir hinter das zurück, was in Bremen 16 Jahre lang vorbildlich praktiziert wurde.“
Ende Januar hatte Heide Rose von der Sozialbehörde das Konzept im Jugendhilfeausschuß zum ersten Mal vorgestellt. Die ständig steigenden Kosten, heißt es in dem Papier, das der taz vorliegt, seien nur noch durch eine „veränderte Förderstruktur“ aufzufangen. Der Hebel wird damit bei rund zwei Dritteln aller integrationsbedürftigten Kita-Kinder angesetzt. Das Konzept: Keine individuelle Hilfe mehr für diese 1.092 Kinder, die sich ausgrenzen, die Sprachprobleme haben oder ständig nicht mitkriegen, was Sache ist. Stattdessen, so Rechtsanwalt Matthias Westerholt vom Verein „Kinder haben Rechte“: „Unterbringung in einer leicht aufgepeppten Regelgruppe.“
„Das ist Planwirtschaft“, so Westerholts trockener Kommentar. Abgeschafft würden nach diesem Konzept vor allem die Hilfskonferenzen, in denen von der Kitaleiterin übers Sozialamt bis zu den Eltern alle zusammensaßen und an einer Therapie für das Kind tüftelten. Geschätzte Einsparung an dieser Stelle: 600.000 Mark und ein hoher Arbeitsaufwand – der Gesamtetat für alle Fördermaßnahmen soll künftig den 28-Millionen Mark-Etat nicht mehr überschreiten. Das Urteil über Hilfsmaßnahmen fällen dann die Ämter; die Eltern gucken zu – „natürlich ist das gesetzwidrig“, meint Westerholt mit Blick auf den Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz-Paragraphen 36.
Wenn die Sozialämter die Integrationsmaßnahme ablehnen, müßten die Eltern klagen – bei den „oft sehr schwierigen Familienverhältnissen“ würde das aber kaum einer machen, sagt Hartmut Groß vom Bremer Kita-Träger Hans-Wendt-Stiftung: „Damit fällt die Bremer Sozialpolitik wieder zurück ins Zeitalter der schleichenden Ausgrenzung. Man wartet einfach solange, bis der Psychiater kommt und das Kind für krank erklärt.“
Und dabei hätten, so Groß, die freien Kita-Träger und die Stadt jetzt doch erstmals gütlich zusammengesessen, um die Kinderbetreuung wirklich gemeinsam zu regeln. Und nun nutze die Sozialbehörde die dort erarbeiteten Zwischenergebnisse als Steinbruch, um daraus ein Konzept zu basteln, das in sich auch noch völlig widersprüchlich sei. Bei Sozialsenatorin Tine Wischer (SPD) hingegen ist man erstaunt über die Aufregung. Es handle sich hier doch nur um ein Diskussionspapier, so Sprecher Olaf Joachim: „Zum nächsten Kindergartenjahr wird das sowieso noch nicht kommen.“ Und außerdem sei man sich doch einig darüber, daß das unübersichtliche Feld der Behinderten-Integration dringend geordnet werden müsse.
Während dessen wird in der Findorffer Kita schon mal über die Auflösung der Integrationsgruppen nachgedacht – und Barbara Graeme, die Krankengymnastin im Therapeuten-Pool, wird zum Monatsende eine eigene Praxis gründen – wegen mangelnder Perspektiven. „Werden unsere Kinder im nächsten Jahr nur noch abgestellt?“ fragte auch Andrea Kunst, Integrationsbeauftragte im Gesamtelternbeirat jetzt bei der taz an.
Schon jetzt würde die Sozialbehörde in Einzelfällen immer häufiger vor Gericht ziehen, um um Integrationszahlungen herumzukommen, sagt Anwalt Westerholt. Jüngst sei sie nach verlorenem Prozeß erstmals in die nächste Instanz gegangen. „Es werden anscheinend schon Fakten geschaffen“, fürchtet auch Hartmut Groß. Verwunderung herrscht beispielsweise in den Kitas im Bremer Osten darüber, daß nach Einsicht der Einrichtungen vom Amt für soziale Dienste zur Zeit keine Hilfeanträge mehr bearbeitet werden. „Am 15. Februar ist Anmeldeschluß für das nächste Kindergartenjahr und überall im Bremer Osten bleiben die Anmeldeplätze frei“, so Eva Maria Zarneckow. Außerdem sei jetzt für ein hilfsbedürftiges Kind, das als Quer-einsteiger zur Spastikerhilfe kam, von Sozialdienstleiter Hans-Jürgen Stamer zum allerersten Mal eine Absage für ihre Integrationsgruppe gekommen. Dagegen klagen aber wollen die Eltern lieber nicht. ritz
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