: Auch Scharping läßt geloben
■ Verteidigungsminister hält erstmals öffentliches Gelöbnis ab - trotz Grünen-Protest
Marienberg (taz) – Chaos im Erzgebirge. Schon kilometerweit vor der Stadt staute sich der Verkehr. Ein Autofahrer mutmaßte: „Da wird wohl wieder so ein Hoher gekommen sein.“ Das aber war falsch: Nicht ein, sondern zwei „Hohe“ beehrten am späten Donnerstag die sächsische Garnisionsstadt Marienberg.
Die Show gehörte zunächst dem Kürzeren der beiden „Hohen“. „Bravo, Kurt!“ und „Weiter so!“ schallte es Sachsens nicht einmal 1,70 Meter langem Ministerpräsidenten Biedenkopf (CDU) entgegen. Rudolf Scharping, fast einen Kopf größer, mußte auf seinen Auftritt indes noch etwas warten. Zuerst galt es, sich vom Bürgermeister der 12.000-Seelen-Kreisstadt empfangen zu lassen und Kluges in die Kameras zu sprechen.
Die Show gehörte erst Kurt Biedenkopf
Denn der Medienwirbel war beim ersten öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr unter dem neuen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) enorm. Fast 500 junge Rekruten gelobten, „Recht und Freiheit unseres Volkes tapfer zu verteidigen“, falls nötig, mit dem Einsatz ihres Lebens. Und das, obwohl der Protest des kleinen Regierungspartners zuletzt an Schärfe zunahm.
Vor Wochenfrist bemängelte die grüne Parteivorsitzende Antje Radcke, Scharping zeige das „gleiche antiquierte Verständnis von Traditionspflege wie sein Vorgänger Rühe“. Der grüne Wehrexperte Winfried Nachtwei kritisierte die übertriebene Häufung von öffentlichen Gelöbnissen. Dies sei „eine Demonstration für den Vorrang des Wehrdienstes vor anderen Gemeinschaftsdiensten“. Ehe Scharping in Marienberg zur militärischen Tat – in diesem Fall lautete der Kampfauftrag: Rede halten! – schritt, erklärte er den grünen Kritikern noch einmal: „Soldaten müssen sich nicht hinter Kasernenmauern verstecken.“ Immer dann, wenn dies in Deutschland so gewesen sei, habe die Entwicklung einen schrecklichen Verlauf genommen. „Solange es die Bundeswehr gibt, wird es öffentliche Gelöbnisse geben.“
Blieb noch das Argument der grünen Verteidigungspolitikerin Angelika Beer: Wegen der Gegendemonstranten seien öffentliche Gelöbnisse oft nur unter massivem Polizeischutz möglich. Gegendemonstranten?
Allenfalls konnte man am Donnerstag dem Wettergott Böswilligkeit unterstellen. Dessen zwölf Grad minus sorgten dafür, daß Scharpings erstes Gelöbnis sicherlich auch das frostigste seiner Amtszeit werden wird. Nein, die Polizei war im verschneiten Marienberg zuerst mit dem Absperren der Innenstadt, danach mit dem Entknoten des resultierenden Verkehrskollaps befaßt.
Wer sollte hier auch protestieren? Es gibt in Marienberg und Umgebung weder Autonome noch Grüne. Der gesamte mittlere Erzgebirgskreis bringt es gerade mal auf 20 eingeschriebene Parteigänger. Nicht einmal die PDS mag hier ihre Stimme gegen das Heer erheben. Zwar haben auch die örtlichen Genossen ihre kritische Position gegenüber der Bundeswehr irgendwo festgeschrieben. Öffentlich bekennen mögen sie dies allerdings nicht. Zu stark ist die Akzeptanz des zweitgrößten Arbeitgebers der Region, zu stark die jahrhundertealte Tradition der Garnisionsstadt, zu groß der Stolz der Marienberger auf „ihre Soldaten“. Etwa 300 von ihnen sind derzeit in Bosnien eingesetzt. Und dann war man ja auch im heldenhaften Kampf gegen die Oderfluten beteiligt. Die Marienberger verliehen vor einigen Jahren denn auch „ihren Soldaten“ – dem Jägerbataillon 371 – den Ehrennamen „Marienberger Jäger“.
Rechte Delikte von Soldaten aus Marienberg
Das Bild lassen sie sich auch nicht durch rechte Delikte stören, die immer wieder aus der Erzgebirgskaserne vermeldet werden. Am Mittwoch erst hatte Sachsens Innenminister Klaus Hardrath (CDU) dem Landtag vorgetragen, daß 1998 sechs der 20 von Soldaten begangenen Straftaten mit rechtsorientiertem oder fremdenfeindlichem Hintergrund in Marienberg passierten.
Das wird den tschechischen Nachbarn, deren Honoratioren am Donnerstag zahlreich erschienen waren, nicht verborgen bleiben. Scharping hatte angeregt, mit dem künftigen Nato-Partner doch einmal gemeinsam das öffentliche Geloben der soldatischen Opferbereitschaft für Demokratie und Freiheit zu zelebrieren. Die Reaktion aus Prag war reserviert. Angesichts der Vergangenheit sei die Zeit für solch ein gemeinsames Zeremoniell noch nicht reif. Nick Reimer
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