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Alle sehen Eichmann

Aber niemand sein teuflisches System: Eyal Sivans brisante Dokumentation „Der Spezialist“, der rund 350 Stunden historisches Videomaterial zugrunde liegen  ■ Von Brigitte Werneburg

Es krächzte, knarzte und fiepte fies. Und zunächst war nicht klar, ob es sich um eine Tonstörung handelt oder ob dies zum Film gehört. Weil eines mit dem ersten Paukenton deutlich war: Eyal Sivan arbeitete bei „Der Spezialist“, einer Kompilation von Originalvideomaterial aus dem Jerusalemer Eichmann-Prozeß 1961, konzeptuell; d.h. vor allem mit Bild- und Tonüberblendungen. Aus 350 Stunden Videomaterial, das Leo Hurvitz von der Capital City Broadcasting Corporation vor rund dreißig Jahren im Auftrag des Gerichts gedreht hatte, montierte der Regisseur dreizehn Filmkapitel. Die nervtötende Radiointerferenz hätte durchaus den alarmierenden Einstieg bedeuten können. Doch sie war tatsächlich ein Mißgeschick.

Die alarmierte Stimmung stellt sich beim Betrachten der Dokumentation ganz von selbst ein. Da sitzt also dieser schmale Mann mit dem schütteren dunklen Haar in seinem Glaskasten und baut Akten und Schriftsätze vor sich auf. Er ist ruhig, fast starr, nur manchmal verzieht ein nervöses Zucken seinen Mund: Adolf Eichmann vor seinen Richtern. Genau so sah ihn die Philosophin Hannah Arendt, als sie für den New Yorker über den Prozeß berichtete und den Begriff von der „Banalität des Bösen“ prägte. Der Mann ist zu medioker, um den Prozeß des neuen Staates Israel gegen das untergegangene Deutsche Reich zu tragen, den Prozeß gegen Hitler und seine Politik der Vernichtung des europäischen Judentums, der symbolisch geführt werden soll. Für diese Strategie steht Oberstaatsanwalt Gideon Hausner, der nach Schuld und moralischer Verantwortung fragt. Gleichzeitig war Eichmann in seiner Funktion als ehemaliger Leiter des Referats IV-B-4 entscheidend genug, daß die Richter die Logistik des Genozids mit seinen Aussagen rekonstruieren konnten. Sie müssen den Prozeß so eng wie möglich auf das kriminelle Handeln Eichmanns fokussieren; Gideon Hausner muß ihn zum Tribunal ausweiten.

Was das bürokratische Verfahren angeht, ist Eichmann auskunftsfreudig – anders als in Fragen der moralischen Verantwortung. Damit kommt er den Richtern mehr entgegen als dem Staatsanwalt. Eichmann hatte sich in Wien nicht gescheut, mit jüdischen Organisationen zusammenzuarbeiten, um die Emigration zu beschleunigen. Dies machte sich Heydrich in diabolischer Weise zunutze, als von Emigration auf Vernichtung umgeschaltet wurde: in der Institutionalisierung der sogenannten Judenräte. Die Kollaboration, wie Hannah Arendt sagte, der Judenräte mit den deutschen Behörden ließ Eichmann erst so furchtbar effizient werden: Sivans Koautor Rony Brauman nennt es das „System Eichmann“.

Deutlich – und anders als man es bislang wußte – zeigt „Der Spezialist“, wie omnipräsent dieses Thema im Prozeß tatsächlich war. Brauman spricht von einem Golfkriegssyndrom: Alle sahen, daß sie nichts sahen. Zwar stand der Eichmann-Prozeß unter totaler, weltweiter Medienbeobachtung, doch anscheinend nahm keiner der Berichterstatter wahr, wie die Frage nach der Rolle der Judenräte im Prozeß immer dringlicher wurde. Der Berlinale-Film von Steven Spielbergs Shoah Foundation beweise, so Brauman in der Pressekonferenz, daß die Frage bis heute ausgeklammert werde. Denn in James Molls „The Last Days“ sind die Judenräte mit keinem Wort erwähnt. Doch es ist nicht auszuschließen, daß Braumans und Sivans Film in seinen Besprechungen selbst dem Golfkriegssyndrom anheimfallen wird. Alle sehen Eichmann, niemand sein teuflisches System.

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