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Codierte Module

Vom Futurismus zur Eleganz. Die Retrospektive mit Bauten und städteplanerischen Projekten des Architekten Kisho Kurokawa im Berliner Haus der Kulturen  ■ Von Ulrich Clewing

Eine Stadt, die wächst und wuchert wie Körperzellen eines riesigen Organismus; die sich mit anderen Städten verbindet und – ähnlich einer Molekülstruktur – ins Unendliche hinein multipliziert; die von weitem so aussieht, als sei sie Teil eines heiteren Glasperlenspiels: diesen Traum träumen Architekten seit langem. Besonders in einem Land wie Japan, wo mehr als 120 Millionen Menschen auf einer Fläche leben, die ungefähr der Finnlands entspricht, verteilt auf 3.413 Inseln. Baugrund hat dort den Status einer natürlichen Ressource, mehr noch: er ist buchstäblich einer der wichtigsten „Bodenschätze“ überhaupt.

Der „Helix City Plan for Tokyo“, 1961 vom damals 26jährigen Kisho Kurokawa entworfen, ist daher nicht nur reine Phantasterei, auch wenn es zunächst so scheinen mag. Die Stadt als vielfältig funktionales Modul, das sich bei Bedarf nach Belieben erweitern läßt, war und ist hier eine Notwendigkeit. Andererseits würde heute kein Architekt mehr wagen, was Kurokawa sich als zorniger junger Mann herausnahm.

Die Helix City ist formal an eine der entscheidendsten wissenschaftlichen Entdeckungen der damaligen Zeit angelehnt: Wenige Jahre zuvor hatte das Forscherduo Cricks und Watson den schematischen Aufbau des menschlichen Erbgutes entdeckt. Diese an eine sphärische Spirale erinnernde Form des DNA-Codes griff Kisho Kurokawa auf, und zwar nicht nur äußerlich, sondern auch in seinen theoretischen Überlegungen.

Gemeinsam mit einer Reihe junger Kollegen gründet Kurokawa die Gruppe der sogenannten Metobolisten. Ziel ist die Symbiose verschiedener, einander eigentlich widersprechender Entwicklungen. Sie verstanden Architektur als einen biologischen Prozessen verwandten Vorgang. Die Individualität der einzelnen Gebäude, so die Metabolisten, gehe auf im großen Ganzen des Stadtgefüges. Wie so häufig bei Theorieversuchen von Architekten will auch das aus heutiger Sicht nicht so recht einleuchten.

Der Größenwahn des Architekten entsprach freilich dem ungebrochenen Fortschrittsglauben der Nachkriegsepoche: Alles ist machbar, und irgendwann in einer nicht allzu fernen Zukunft würden die Menschen in Satellitensiedlungen um die Erde kreisen. Wie man inzwischen weiß, ist es dazu nicht gekommen, und es ist auch sehr unwahrscheinlich, daß dies noch einmal passieren wird. Auch der Helix City Plan wurde – zum Glück – nicht verwirklicht, doch dies hielt Kurokawa nicht davon ab, seine Vorstellungen von der Stadt der Zukunft immer wieder ins Spiel zu bringen.

Wer sich einen Überblick über die Projekte des japanischen Architekten verschaffen will, dem bietet das Berliner Haus der Kulturen der Welt derzeit die Gelegenheit. Die Ausstellung, die im vergangenen Jahr bereits in Paris, London und Chicago zu sehen war, präsentiert Entwürfe aus den letzten vier Jahrzehnten, darunter der Toshiba Pavillon für die Weltausstellung 1970 in Osaka sowie der Nakagin Tower, den Kurokawa im selben Jahr in Tokio baute. Bei letzterem trieb Kurokawa sein Credo von der industriellen Alltagskultur auf die Spitze: Wie die sprichwörtlichen Bauklötze stapeln sich die Wohneinheiten, die – selbstverständlich in Massenproduktion hergestellt – die futuristische Ästhetik der Apollo-Ära widerspiegeln.

Das Hotelzimmer im Wohnmobilambiente: Viel blankpoliertes Plastik findet man da, Schreibtisch, Bett und „Naßzelle“ sind auf engstem Raum untergebracht. Daß der Mensch Platz braucht, sich vielleicht auch mal ein wenig ausbreiten möchte, ohne gleich Gefahr zu laufen, bei einer unbedachten Bewegung in die Dusche zu fallen, dieser Gedanke war Kurokawa offenbar völlig fremd. Im Vergleich dazu wirken die gebauten Horrorvisionen, die westeuropäische Architekten Anfang der Siebziger in die Welt setzten, beinahe niedlich.

In den achtziger Jahren orientiert sich Kurokawa dann deutlich an der internationalen Postmoderne, immer häufiger tauchen geometrische Grundfiguren wie Pyramide, Würfel oder Kegel auf. Auch sind die Bauaufgaben andere: Kurokawa übernimmt zunehmend Aufträge für öffentliche Gebäude, und meist sind es Museen. Herausragende Beispiele sind etwa das zerklüftet anmutende Nagoya City Art Museum in der Stadt Aichi von 1987, das um einen kreisrunden Zentralbau gruppierte Hiroshima City Museum of Contemporary Art, das ein Jahr später eröffnet wurde, oder das Museum für „General Science“ in der Präfektur Ehime mit seinem gläsernen begehbaren Spitzkegel.

Eine besondere Qualität der Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt liegt darin, daß sich die stilistische Entwicklung in Kurokawas architektonischem Schaffen deutlich nachvollziehen läßt. 1996 wurde das Kunstmuseum der Stadt Fukui eingeweiht: Es unterscheidet sich erheblich von den vorangegangenen, ist mit seiner transparenten Außenhaut und seiner sanft geschwungenen Grundrißlinie wesentlich feingliedriger und eleganter als das meiste, was Kurokawa bis dahin gebaut hat. Ähnlich filigran ist das Clubhaus des Fujinomiya-Golf-Clubs am Fuße des heiligen Bergs der Japaner. Die Kurvatur der ganz aus Glas bestehenden Fassade schmiegt sich an die umgebende Parklandschaft an, der Blick auf den Fujijama ist atemberaubend.

Skurril dagegen erscheint der Neubau des Dinosaurier-Museums, auch dies in Fukui gelegen. Hier zeigt sich Kurokawas Vorliebe für Symbolisches. Der dominierende Ausstellungstrakt erinnert an ein gigantisches halbiertes Ei, so als wollte der Architekt der Sammlung ein kongeniales Gehäuse schaffen. Diese gestalterische Lösung hat Kurokawa noch einmal aufgenommen: Der Erweiterungsbau des Amsterdamer Vincent-van-Gogh-Museums, der 2001 fertig sein soll, hat auch ein solches halbiertes Ei als Grundform, allerdings wirkt es hier unmotiviert und beliebig, letztlich bleibt unverständlich, warum sich der Baumeister so entschied. Historische Vorbilder drängen sich auf, am ehesten die spektakuläre utopische Revolutionsarchitektur eines Etienne Boulée aus der Zeit um 1800.

Trotz aller Widersprüche und Merkwürdigkeiten ist die Berliner Ausstellung ein selten gelungenes Exempel für eine Architektur- Schau. Normalerweise tendenziell spröde, schwer zu verstehen mit all den Architekturzeichnungen und Plänen, die nur für Eingeweihte auf Anhieb lesbar sind, ist diese Ausstellung ausnehmend ästhetisch geraten. Kurokawas Bauten werden als winzige Modelle vorgestellt, die auf von unten beleuchteten Sockeln stehen. Es sind wahre Meisterleistungen der Miniaturkunst – die zum Betrachten notwendigen Lupen gibt es am Eingang. Auch der Boden ist ganz mit Architekturzeichnungen ausgelegt, eine zunächst einmal gewöhnungsbedürftige Art, Skizzen zu studieren. Doch bald hat man sich auch hier eingesehen und stolziert mehr und mehr vorsichtig von einem Entwurf zum anderen.

Die Kurokawa-Retrospektive wird ergänzt durch eine Ausstellung mit dem Titel Japan 2000. Dort wird in Auszügen japanisches Design der neunziger Jahre gezeigt. Es wirkt in der Gegenüberstellung mit den teilweise irrwitzigen Bauten Kurokawas vergleichsweise konventionell: Die runden, stromlinienförmigen CD-Player, Minifernseher, Bestecke und Gefäße kennt man auch vom hierzulande so beliebten „Retro-Design“, das die vierziger Jahre wiederauferstehen läßt.

Allerdings fehlt es auch da nicht an Eigenheiten, die auf Anhieb zum Klischee des technobegeisterten Japan passen. Zum Beispiel das Miburi-Outfit: ein über Sensoren gesteuertes Set von Kleidungsstücken, mit denen die Träger Musik machen können, ohne auch nur ein einziges Instrument zu bedienen. Da ist er wieder, der leicht überdreht erscheinende Hang zum Futuristischen um jeden Preis – allerdings in einer harmloseren Variante als die Schuhschachtelhotels Kurokawas. Irgendwie beruhigend und auch ein bißchen komisch.

Beide Ausstellungen laufen noch bis zum 7. März, dienstags bis sonntags 10 bis 20 Uhr

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