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Türkischlehrer neuen Typs

■ An der Uni Essen gibt es das erste fundierte Lehramtsstudium Türkisch in Europa. Die ersten Absolventen des Modellstudiengangs werden das Bild der Muttersprachlehrer revolutionieren

Da muß Emel Huber schmunzeln. „Wir Türken sind so wichtig, daß wir sogar eine Wahl entscheiden“, kommentiert Frau Professor ironisch die Folgen der Anti-Doppelpaß- Kampagne in Hessen.

Der Spaß ist Emel Huber schnell vergangen. Wenige Tage nach der Wahl rückte Roland Koch, künftiger Ministerpräsident Hessens, mit seiner ersten Maßnahme heraus. Er will den muttersprachlichen Unterricht abschaffen. Was Koch beseitigen will, ist Emel Hubers Arbeitsgebiet. Sie bildet an der Gesamthochschule Essen TürkischlehrerInnen aus und ist damit ein europäisches Unikat. Nur im Ruhrgebiet gibt es einen Lehramtsstudiengang Türkisch. 300 StudentInnen belegen das Fach, das gleichzeitig ihre Muttersprache ist. Sie sind in Deutschland aufgewachsen. Für die künftigen LehrerInnen ist längst Alltag, was jene nicht wahrhaben wollen, die ihre Unterschrift unter die CDU-Kampagne setzten: Es gibt ein Leben in zwei Kulturen.

„In Deutschland sind wir Ausländer“, beschreibt Dilek Pehlivan ihre vertrackte Situation, „aber in der Türkei ,Deutsch-Türken‘“. Auch Ilkay Cansevindiren ist im Ruhrgebiet aufgewachen. „Wenn ich als Jugendliche in die Türkei gefahren bin, konnte ich mich nicht mal über Literatur unterhalten“, erinnert sie sich. Weil sie zu Hause in ihrer Familie oft nur „Küchen- Türkisch“ lernte. Heute studiert die 23jährige Deutsch und Türkisch – um jungen TürkInnen in Deutschland alle Facetten der Muttersprache beizubringen.

Mit der deutschen Spache haben die jungen TürkInnen heute oft weniger Probleme als mit der türkischen. Im Gegensatz zu den Türkischlehrern von früher kennen sie die Identitätsprobleme der dritten Generation – aus eigenem Erleben.

Einer neuen, bilingualen Generation können die älteren Türkischlehrer kaum gerecht werden. „Die verstehen nicht, warum ein Kind Fehler im Türkischen macht“, klärt Halide Matar selbstbewußt auf: „Die Fehler stammen aus der deutschen Grammatik.“

Die 22jährige Matar studiert Türkisch, Deutsch und Englisch. Für sie hat die Zweisprachigkeit eine wichtige integrative Funktion: Nur wer Deutsch und Türkisch spricht, kann in beiden Kulturkreisen kommunizieren. Das gilt genauso für die Deutschen. „Beide Seiten müssen sich integrieren“, findet Matar. Deutsche sollten auch ein bißchen Türkisch lernen.

Im Aufbau gleicht das Lehramtsstudium Türkisch den Fächern Englisch und Französisch. Wie ihre KommilitonInnen belegen die Lehrämtler Sprachwissenschaft, Literatur, Didaktik sowie Landeskunde – bloß eben alles in Türkisch und auf den Staat am Bosporus bezogen. Und nicht zu vergleichen mit der Ausbildung, die mancher Türkischlehrer anderer Bundesländer vorzuweisen hat: Sie beherrschen ihre Muttersprache. Das war's.

Für 180.000 türkische Schüler gibt es in Nordrhein-Westfalen 660 türkischsprechende Lehrer. Das Fach wird als muttersprachlicher Unterricht in allen Schulformen angeboten. Als Wahlpflichtfach oder zweite Fremdsprache, wie Französisch und Latein, kann es an Gesamtschulen und Gymnasien belegt werden. Viele wählen die Turksprache auch fürs Abitur.

In Essen erwartet man derweil die ersten Absolventen. Die StudentInnen des vier Jahre jungen Fachbereichs melden sich gerade zum Examen. Sie haben keine Sorge, nach dem Referendariat ein Stelle zu finden. Der Bedarf an TürkischlehrerInnen ist groß – besonders im Ruhrgebiet, wo der Anteil der TürkInnen in manchen Schulen bei 50 Prozent liegt. „Ich werde ständig von interessierten Schulen angerufen“, freut sich Fachbereichsleiterin Emel Huber.

Türkischlehrer zu sein bedeutet keineswegs, Islamlehrer zu sein. „Ein Deutschlehrer muß auch keine katholische Religion unterrichten“, wehrt sich Professorin Huber gegen die häufig geübte Gleichsetzung. Die Allgemeine Sprachwissenschaftlerin, die in der Türkei aufgewachsen ist und in Istanbul studiert hat, betrachtet das Problem nüchtern wissenschaftlich. Sie sei keine Islamistin und bilde Studierende nicht nach dem Koran aus. Islamunterricht solle ein eigenes Lehramtsstudium bei den Islamwissenschaftlern bekommen, finden auch die Studierenden. Tamer Ugurel etwa, der sich als „Ruhrpotter“ sieht, sagt resolut: „Ich mache keinen Islamunterricht.“ Gleichwohl feiert Ugurel die moslemischen Feste. Für ihn und seine KommilitonInnen gilt die NRW-Regel, daß Türkischlehrer auch Islamkunde geben müssen. Laut Schulministerin Gabriele Behler gebe es aber „Überlegungen in alle Richtungen“, die Regelung aus dem Jahr 1984 zu ändern.

Die eigenen Erfahrungen mit dem Islamunterricht beschreiben die Studierenden sehr unterschiedlich: Einige haben in ihrer Schulzeit über den Islam diskutiert. Andere mußten beten. Wieder andere haben den Religionsunterricht nicht genossen. Einig sind sich alle darin, daß der türkische Staat seine Finger dabei nicht im Spiel hatte. Wütend sind die jungen Deutsch-TürkInnen über das medial verbreitete Bild: Alle Türkischlehrer seien von Istanbul ferngesteuerte Fundamentalisten. Dennoch bekennen sie sich zu ihrer Religion: „Wir sind durch den Islam geprägt“, sagt Ilkay Cansevindiren – ein Stück Kultur, daß sie sich nicht nehmen lassen will. Deshalb kämpft sie gegen „Stereotype“, die etwa alle Türken als Fundamentalisten stigmatisieren.

„Bei Straßenumfragen werde ich nie angeprochen, die Deutschen denken, eine mit Kopftuch ist dumm“, berichtet Kopftuchträgerin Dilek Pehlivan. Die agile, am Niederrhein aufgewachsene Türkin will auch als Lehrerin nicht ihr Kopftuch abnehmen – das bedeutet für sie „multikulti“. Vielleicht steht NRW da ein Kopftuchdebakel à la Baden-Württemberg ins Haus. Im Essener Fachbereich Türkisch studieren viele selbstbewußte Frauen mit Kopftuch. Ein Signum ihrer Kultur und Religion, das sie sich nicht nehmen lassen wollen. Isabelle Siemes

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