: „Deutsche vermeiden, wo's geht“
Issaka Kaba und Bensaha Khaled haben die Hetzjagd überlebt, bei der Neonazis am Wochenende in Brandenburg den Algerier Omar Ben Noui in den Tod trieben ■ Aus Guben Constanze von Bullion
Weglaufen geht nicht. Neonazis verdreschen noch weniger. Am allerwenigsten aber kann Issaka Kaba stillsitzen. Unruhig rutscht der schmale junge Mann aus Sierra Leone auf seinem Plastikstuhl herum, alle paar Minuten wirft er nervöse Blicke über die Schulter. Und fängt viele lange Blicke auf. Ein schwarzer Mann, der mit einer weißen Frau Kaffee trinkt, gleich neben den lustig verkleideten Verkäuferinnen und den Tischen voller Faschingskrapfen, das ist allemal ein Grund zum Glotzen im Gubener „Kaufland“.
Issaka Kaba kennt den heimlichen Film hinter den hochgezogenen Brauen längst, er ist ihm gleichgültig. Angst hat er nicht vor den Biedermännern mit den Einkaufswagen, sondern vor den Glatzen, denen er vor drei Tagen mit knapper Not entkommen ist. „Sie haben mir ins Gesicht geschaut“, sagt er, „die würden mich sofort wiedererkennen.“ Am frühen Samstagmorgen hat der 18jährige zusammen mit dem Algerier Omar Ben Noui und seinem Freund Bensaha Khaled kurz nach vier Uhr morgens die Diskothek „Danceland“ verlassen. Er selbst überlebte den Heimweg, Omar nicht.
„Schönen Abend noch“, hatte der Algerier vergnügt den letzten Gästen vor der Tür der Disco zugerufen, doch da hefteten sich schon vier Autos mit grölenden Neonazis an ihre Fersen. Eine Polizeistreife sah Bensaha Khaled vorbeifahren, er hat gewinkt, doch die Herren hatten offenbar Wichtigeres zu tun und fuhren weiter. Um ihr Leben sind die drei dann gerannt. Bensaha wurde von zwei Glatzen auf ein Auto geschubst und getreten, konnte sich schließlich aber aus dem Staub machen. Den beiden anderen schnitten Jugendliche den Weg ab. Als sie eingekeilt waren, schlug und trat Omar die Glastür eines Wohnhauses ein. Durchgekrochen ist er da mit Issaka, sie stürmten die Treppen hoch, doch schon im ersten Stock brach Omar zusammen. „Hol Hilfe, schnell“, schrie der 28jährige. Da erst sah Issaka „das ganze Blut, das sein Bein runtergelaufen ist und aus dem Schuh wieder rauskam“.
Stockfinster war es da noch im Flur, kein Mensch öffnete die Wohnungstür. Irgendwie gelang es Issaka, zwischen den Neonazis durchzuflitzen. Per Taxi rettete er sich in eine Kneipe, doch als endlich die Polizei ankam, schienen die Beamten weder zu verstehen, von welchem tödlich verletzten Freund er so aufgeregt erzählte, noch was die Kahlköpfe vor der Tür wollten. Issaka Kaba wurde in Handschellen abgeführt, als einziger, sagt er. Die nächsten sieben Stunden verbrachte er beim Verhör auf der Wache – über vier Stunden davon mit beiden Händen auf dem Rücken und noch immer in Handschellen.
Wie in Sierra Leone eben, sagt der junge Mann achselzuckend. Issaka redet nicht gern von Angst, weil er die von zu Hause zur Genüge kennt. Seine Eltern sind tot, die Mutter kam bei einem nächtlichen Überfall auf sein Heimatdorf Monko ums Leben. Wer das getan hat? „Leute von der Regierung oder einfach nur Rassisten, ist doch egal“, sagt er nur. Issaka hat sich keine Illusionen gemacht, als er auf einem Schiff Sierra Leone verließ. „Ich wußte nicht einmal, was Deutschland ist, als ich im Hamburger Hafen stand.“ Heute würde er einiges dafür geben, wieder in Hamburg zu sein.
Doch da sind Stacheldrahtzaun und Elektrotüren vor. Knappe 20 Quadratmeter teilen sich sechs Männer aus Sierra Leone, Togo, und Algerien am Ende eines langen Flurs im Asylbewerberheim von Guben. Im Stockbett ganz rechts schlief bis vor kurzem Omar Ben Noui, weil er es in seinem eigenen Heim, einem eingezäunten Barackenbau im gottverlassenen Dorf Sembten, nicht aushielt. Auch Omars Cottbusser Freundin war regelmäßig hier zu Besuch. Oft haben alle zusammen am Eßtisch gesessen und dünnen Nescafé angerührt, doch über ihre Familien wurde fast nie gesprochen. „Da ist so viel Druck, so viel Sorge“, erzählt der Algerier Bensaha Khaled, „von vielen erwarten die Angehörigen zu Hause so vieles, was sie nicht erfüllen können.“
Daß Omar aus Algier stammt und in einem Hangar am Flughafen arbeitete, bevor er das Land verließ, das hat er Bensaha erzählt. Mit seiner Ausbildung als Techniker wollte er sich „eine Zukunft bauen“, sagt der Zimmergenosse und fügt hinzu: „Wir sind keine politischen Leute.“ Der Traum vom gesicherten Leben ist für Omar Ben Noui schnell zerstoben. Seine Ausbildung wurde in Deutschland nicht anerkannt, anderthalb Jahre mußte er sich von einem Heim zum anderen schieben lassen. Daß er trotzdem ein „Bonvivant“ blieb, das bestätigt sogar Gerhard Kubein. „Nett, ruhig, unauffällig, kein Raucher, kein Trinker“, lauten die Betragensnoten, die der stellvertretende Heimleiter im schwarzen Sheriff-Outfit dem Algerier zuschreibt. Viele seiner Schützlinge seien jetzt doch „etwas verunsichert“, sagt der Heimleiter. Omars Freunde würden das etwas anders ausdrücken. „Hier ist man nicht sicher, auch nicht hinter Gittern“, meint Issaka Kaba und verläßt eilig das Café im „Kaufland“. „Deutsche Männer“, sagt sein Freund Bensaha, „muß man vermeiden, wo immer es geht.“
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