Der die Töne zerkaut

■ Alfred Brendel beglückte die ausverkaufte Glocke mit Haydn und Mozart

Zwei magische Momente: Das rasende Finale von Haydns Streichquartett C-Dur op. 33/3 spielt das Alban-Berg-Quartett mit einer Lakonie als wollten die vier gereiften Herren sagen: Naja, diese Schlußfloskeln kennt ihr alle sowieso, da wollen wir wirklich niemandem vormachen, hier würde noch etwas Wesentliches geschehen, bei Haydn muß man sich sowieso seine spannenden Momente an den absonderlichsten Orten suchen, etwa bei den Übergängen zwischen irgendwelchen Themen oder in einer raffiniert kontrapunktisch geführten Baßlinie; also Kadenz, Schluß und Tschüß, das machen wir jetzt gleich so unauffällig, daß Ihr das Ende gar nicht mitkriegt und dann eben doch noch Eure kleine Überraschung bekommt.

Nicht weniger von noblem Understatement getragen war Alfred Brendels Einsatz in dem darauffolgenden Klavierquintett A-Dur von Mozart. Nur sehr langsam tauchte sein Klavierpart aus dem Streichquartettgemurmel hervor um an die pole position zu rücken. „Wie alt ist er denn“, ging das Pausengeflüster, ganz einfach, weil es schwer zu fassen ist, daß bei Spitzenmusikern die körperlichen Funktionen auf wundersame Weise altersresistent zu sein scheinen – ganz im Unterschied zu Spitzensportlern. 68 ist er, verrät das Programmheft, und schaut aus seinen dicken, wirklichkeitsentfremdenden Gläsern so altersabgeklärt wie schon als junger Mann hervor.

Seine virtuosen Fähigkeiten mußte Brendel aber bei Mozart und Haydn nicht überstrapazieren. Wer Brendel als Schubert- und Beethoveninterpret schätzt, konnte mit dem etwas monochromen Programm gewisse Schwierigkeiten haben. Brendels Gabe, noch die standardisierteste Tonleiter oder den routiniertesten Albertibaß in ein delikates, feinsinniges Wunderwerk zu verwandeln, kam hier allerdings besonders glorios zur Geltung. Statt stringent Höhepunkte anzupeilen, gibt er hier einen Hauch nach, verzögert dort eine Mikrosekunde, setzt an anderer Stelle einen Miniakzent, der eigentlich durch keine strukturelle Logik zu rechtfertigen ist. So durchzieht selbst nach dem hundertsten Auftauchen irgendeines Themas das prikelnde Gefühl des Unerwarteten diese Musik. Damit bildet Brendel irgendwie den Gegensatz zu Friedrich Gulda, bei dem vor allem die fast schon maschinelle Regelmäßigkeit beglückt.

Schön, daß Brendel auch noch die kongeniale Mimik zum Spiel liefert. Unter dauergerunzelter Stirn blickt er wie eine El Greco-Figur entrückt gen Decke, als wäre jeder Ton eine Einflüsterung des Himmels. Unablässig malt dazu sein Kiefer, als lägen gewichtige Gedanken in Vorbereitung auf der Zunge; sie wollen herausgewürgt werden, sperren sich aber gegen die Verbalisierung und fließen deshalb direkt in die Finger.

Impulsiver ist das Herangehen des Alban-Berg-Quartetts. Besonders die erste Geige zieht gerne mal das Tempo an im Streben nach positiver Nervosität. Zusammen mit Brendel ergibt das eine glückliche Mischung aus Verfeinerung und Spritzigkeit. bk