PKK verliert ihren Onkel

■ Die Türkei hat nach der Festnahme von Abdullah Öcalan, dem Chef der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), landesweit ihre Sicherheitsmaßnahmen intensiviert: Die Regierung fürchtet Anschläge in den großen Städten. „Apo“ (Onkel) in türkischer Haft – das ist nicht nur für die Anhänger der PKK ein tiefer Schock, sondern trifft das „Volk ohne Freunde“ insgesamt

Bülent Ecevit ließ keinerlei Triumph erkennen. Mit versteinerter Miene gab der türkische Ministerpräsident gestern morgen um 11 Uhr seine „historische Erklärung“ ab. „Der Terrorist Abdullah Öcalan, Kopf der PKK, ist in der Türkei.“ Neben sich den Chef des türkischen Geheimdienstes, Senkal Atasagun, gab Ecevit lediglich bekannt, daß aufgrund einer erfolgreichen Operation der türkischen Sicherheitskräfte Abdullah Öcalan sich seit Dienstag morgen 3.00 Uhr in der Türkei befinde.

Nachdem alle Länder ihre Tür vor Öcalan verschlossen haben, ist er nun in die Türkei zurückgekehrt. Öcalan soll jetzt der „unabhängigen Justiz“ überstellt werden. Wahrscheinlich wird man ihn nach Ankara bringen und dort vor dem Staatssicherheitsgerichtshof einen Prozeß vorbereiten. Arslan Gündüs, Völkerrechtler an der Universität Istanbul, sagte in einem Interview im türkischen Privatfernsehen atv, Öcalan werde vor dem Staatssicherheitsgerichtshof angeklagt werden, weil die Vergehen, die ihm vorgeworfen werden, sich überwiegend gegen den Staat gerichtet hätten. Gündüs appellierte an die Verantwortlichen, Abdullah Öcalan gut zu schützen, da nun der Ruf des türkischen Staates davon abhänge, daß der „Staatsfeind Nummer 1“ einen fairen Prozeß bekommt. „Die ganze Welt wird auf uns schauen.“

Erst einmal wurden in der Türkei die Sicherheitsmaßnahmen für die Botschaften Griechenlands und anderer europäischer Länder intensiviert. Die gesamte türkische Polizei ist in erhöhter Alarmbereitschaft, man fürchtet Anschläge in den großen Städten, wie sie der Europasprecher der PKK, Kani Yilmaz, bereits vor Wochen angekündigt hatte. Die türkischen Behörden hatten die Nachricht von der Gefangennahme Öcalans bewußt bis 11 Uhr geheimgehalten und in dieser Zeit im gesamten Land spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Um 9 Uhr morgens tagte dann eine Runde von Ministern, Generälen und Geheimdienstleuten, um die weiteren Schritte abzusprechen. Um 11 Uhr präsentierte Ecevit „den Erfolg“ dann der Öffentlichkeit. Wie die PKK genau darauf reagieren wird, ist jetzt noch unklar. Tatsächlich muß man davon ausgehen, daß die letztendliche Auslieferung Öcalans an die Türkei bei den Aktivisten, aber auch in Sympathisantenkreisen einen tiefen Schock ausgelöst hat. Als die Botschafts- und Konsulatsbesetzungen in Europa begannen, wußten die Besetzer ja noch gar nicht, daß „Apo“ bereits auf dem Weg in die Türkei war. Als er um 3 Uhr morgens mit einer Privatmaschine des türkischen Textilindustriellen Cavit Caglar – die dieser dem türkischen Staat zur Verfügung gestellt hatte, um Öcalan unauffällig von Kenia in die Türkei bringen zu können – auf dem Militärflughafen von Bandirma landete, rief das ZK der PKK über Med-TV ihre Anhänger noch zur Besonnenheit auf. Die PKK-Anhänger sollten sich aber bereit halten und auf weitere Anweisungen warten.

Für die PKK ist nun der denkbar schlimmste Fall eingetreten. Ihr Führer ist in der Hand des Feindes. Doch das trifft nicht nur die PKK. Die Auslieferung Öcalans wird viele Kurden über die PKK hinaus in eine tiefe Depression stürzen. Das „Volk ohne Freunde“ wird sich in seinem Trauma bestätigt sehen, immer und von allen allein gelassen zu werden. Vor allem die abweisenden Reaktionen in Europa werden tiefe Enttäuschung auslösen. Jahrelang war die Türkei wegen ihrer Kurdenpolitik von den Staaten Europas verbal angegangen worden. Nicht nur die PKK-Kader glaubten, Europa werde sich in dieser Situation für die Interessen der Kurden einsetzen. Von Deutschland und Frankreich hatte die PKK eine Ablehnung erwartet. Daß aber auch Griechenland, Italien, die Beneluxstaaten und Skandinavien lediglich darauf bedacht waren, sich das kurdische Problem vom Hals zu halten, wird tiefe Verbitterung auslösen.

Die erste Wut richtet sich verständlicherweise gegen Griechenland. Griechenland hat die PKK lange nach dem Motto unterstützt: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Als Öcalan dann aber auf massiven türkischen Druck hin Syrien verlassen mußte und in Griechenland anfragen ließ, ob er in Athen willkommen sei, lehnte der griechische Regierungschef Simitis kategorisch ab. Öcalan in Griechenland wäre für die sowieso angespannten Beziehungen zur Türkei die absolute Katastrophe gewesen. Von Rußland aus sondierte Öcalan dann seine Chancen im übrigen Europa. Nachdem im letzten Sommer das kurdische Exilparlament trotz heftiger Proteste aus Ankara auf Einladung kommunistischer Abgeordneter im italienischen Parlament hatte tagen dürfen und dann kurz danach die Linke in Rom den Regierungschef stellte, konnte Öcalan zu Recht davon ausgehen, daß Italien ihm Unterschlupf gewähren würde.

Angeblich hat Griechenland in den zwei Wochen, die Öcalan zuletzt in der Botschaft in Nairobi verbracht hat, noch einmal versucht, auf europäischer Ebene eine Lösung zu finden. Was dabei herausgekommen ist, sieht man am weiteren Verlauf. Jetzt wird sich der gesamte Konflikt wieder auf die Türkei konzentrieren. Ecevit hat in seiner kurzen Ansprache an „die jungen Leute in den Bergen“ appelliert, ihre Waffen niederzulegen, herunterzukommen und sich im Rahmen des „Reuegesetzes“ der Justiz zu stellen.

Das wird sicher nicht reichen, um die PKK-Kader zur Aufgabe zu bewegen. Das kurdische Med-TV sendete bereits eine halbe Stunde nach dem Auftritt Ecevits einen Gegenappell an alle Kurden in der Türkei. Der Kommandant der ARGK, des bewaffneten Arms der PKK, Nizametin Tas, forderte die Kurden auf, sich, bis das Leben „des Führers“ nicht mehr gefährdet ist, bereit zu halten, „im Herzen des Feindes zu explodieren“. Die jungen Kurden forderte er auf, sich der ARGK anzuschließen. Nizametin Tas ermahnte die Anhänger „Apos“ aber auch, keine Selbstverbrennungsaktionen zu unternehmen. Öcalan habe das ausdrücklich verboten.

Die weitere Entwicklung wird nun entscheidend davon abhängen, ob die türkische Regierung jetzt, wo Öcalan gefangen ist, in der Lage ist, auf die Kurden im Land zuzugehen. In ersten Kommentaren wird die Regierung dazu aufgefordert, nun endlich für den kurdisch bewohnten Südosten des Landes ein Entwicklungsprogramm aufzulegen und der kurdischen Minderheit das Recht auf ihre eigene Kultur einzuräumen. Jürgen Gottschlich, Istanbul