: Jugoslawiens Präsident spielt va banque
In der Frage der Stationierung von Nato-Truppen im Kosovo wächst auch innenpolitisch der Druck auf Milošević. Nur soviel steht fest: Mit einer Entscheidung wird Milošević bis zum allerletzten Moment warten ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji
Zwei Tage vor dem festgesetzten Ende der Kosovo-Konferenz in Rambouillet ist in Serbien keine besondere Anspannung zu spüren. Selbst an Stammtischen in Belgrad ist das Säbelrasseln der Nato mittlerweile ein abgenutztes Thema. Die Schwankungen am Devisenschwarzmarkt und die Preiserhöhungen machen den Menschen wesentlich mehr zu schaffen, als die Gesprächsrunden über den Kosovo. Führende serbische Politiker lehnen nach wie vor die Stationierung von Nato-Truppen im Kosovo energisch ab, allerdings scheint die patriotische Begeisterung verblaßt zu sein. Regimenahe Medien loben die „kluge Haltung“ des serbisch-jugoslawischen Verhandlungsteams, machen die Kosovo-Albaner für den bisherigen Stillstand der Verhandlungen verantwortlich und empören sich wegen der „doppelten Maßstäbe“ der internationalen Gemeinschaft.
Belgrad betont, daß die serbische Delegation in Rambouillet die zehn Prinzipien der Kontaktgruppe für Kosovo unterzeichnet habe. Das bedeutet Anerkennung der vollen Autonomie Kosovos, Wahlen unter Kontrolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und Reduzierung des Militärs von derzeit über 15.000 auf etwa 1.500 Mann. Es seien die Albaner, die die für die Gespräche grundlegenden Prinzipien der Kontaktgruppe nicht unterzeichnen wollten, weil sie die Souveränität Serbiens über Kosovo bestätigen und die Entwaffung der „Kosovo-Befreiungsarmee“ (UCK) vorsehen.
Trotzdem würde die Nato Serbien weiter mit Bomben drohen, was das „wahre Gesicht der amerikanischen Demokratie“ zeige, verkündete die extrem nationalistische Radikale Partei. Serbien dürfte der Stationierung von „feindlichen Bodentruppen“ im Kosovo keinesfalls zustimmen.
Der unmittelbaren Gefahr eines Nato-Luftangriffs auf Ziele in Serbien, sollten die Gespräche in Rambouillet scheitern, ist sich kaum jemand in Serbien bewußt. Durch die gleichgeschalteten Medien dringt die Information nicht durch, daß die internationale Gemeinschaft die Stationierung von Nato-Bodentruppen im Kosovo vorsieht, wie auch immer die Gespräche in Rambouillet ausgehen sollten. Ob mit der Zustimmung Belgrads oder erst nach Luftangriffen auf militärische Ziele in Serbien – darüber wird letztlich Jugoslawiens Präsident Slobodan Milošević entscheiden müssen.
Der innenpolitische Druck auf Milošević, hart zu bleiben und „Kosovo nicht zu verraten“, war nie so groß. Sogar in den Reihen seiner „Sozialistischen Partei Serbiens“ heißt es schon spottend, wann immer Milošević dramatisch „Nein“ zu Forderungen der internationalen Gemeinschaft gesagt habe, erfolgte bald darauf die bedingungslose Kapitulation. So war es in Kroatien und Bosnien, so könne es auch im Kosovo werden. Und der Radikalenführer Vojislav Seselj lauert nur auf die Fehler seines jetzigen Chefs.
Am Dienstag erklärte Milošević in Belgrad gegenüber dem amerikanischen Kosovo-Unterhändler Christopher Hill, daß nicht nur die serbische Führung gegen die Stationierung der Nato im Kosovo sei, sondern auch die Bürger Serbiens und alle Abgeordneten im serbischen Parlament. Immerhin hat er diese Option, der Stationierung zuzustimmen, nicht ganz ausgeschlossen. Doch wenn Milošević seiner alten Gewohnheit treu bleibt, persönlich die für das Land schicksalhaften Entscheidungen im allerletzten Augenblick, womöglich noch unter unmittelbarer Kriegsgefahr, zu treffen, wird man mindestens bis Samstag auf seinen Entschluß warten müssen.
Die serbische Opposition befürchtet, daß Milošević Luftangriffe der Nato in Kauf nehmen könnte, um innenpolitisch nicht dafür verantwortlich gemacht werden zu können, kampflos der Stationierung von Nato-Truppen im Kosovo und dem Verlust der Souveränität Serbiens in der Provinz zugestimmt zu haben.
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