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Ein Triumph, der angst macht

■ In der Türkei hält sich die Begeisterung über die Festnahme Abdullah Öcalans in Grenzen. Es wird befürchtet, die PKK, in der der Streit um die Nachfolge in vollem Gange sein soll, könnte „die gesamte Türkei zum Kampfgebiet“ machen.

Mittwoch morgen auf Istanbuls Hauptgeschäftsstraße. Es wimmelt von Polizei. Das niederländische, russische und schwedische Konsulat am Rande der Istiklal Caddesi werden schwer bewacht, vor dem Galatasaray-Gymnasium, wo traditionell die „Samstagsmütter“ auf die Verschwundenen des Krieges hinweisen, ist eine ganze Hundertschaft angetreten, und auch der Zugang zum zentralen Taksim-Platz wird bewacht. Die Stadt ist am Tag nach dem großen Triumph in erhöhter Alarmbereitschaft.

In der Nacht von Dienstag auf Mitwoch hat es die ersten Ausschreitungen gegeben. In Gazi, einem früheren Slumgebiet, das hauptsächlich von Kurden und Aleviten bewohnt wird, errichteten Anhänger Abdullah Öcalans Barrikaden und lieferten sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Autos brannten, Scheiben klirrten, ein Bus ging in Flammen auf.

Die Türkei befindet sich in einem Zustand gespannter Ruhe. Der Triumphalismus der türkischen Boulevardzeitungen, die nun „Sieg, Sieg!“ schreien, wird in weiten Teilen der Bevökerung offenbar nicht geteilt. In den über die Fernsehanstalten ausgestrahlten Straßeninterviews äußern viele Leute Befürchtungen darüber, wie es weitergehen wird. Einzig die neofaschistische MHP versuchte am Dienstag abend eine „Siegesfeier“ auf dem Taksim-Platz durchzuführen, die aber von der Polizei schnell aufgelöst wurde.

Viele Menschen haben Angst vor Anschlägen. Obwohl der türkische Polizeichef Necati Bilican versicherte, man habe alle neuralgischen Punkte unter Kontrolle, wird informell davor gewarnt, Busse oder Fähren zu benutzen oder sich auf Plätzen aufzuhalten. In einem Interview mit dem US- Sender CNN bestätigte Ministerpräsident Ecevit gestern Nachmittag dann offiziell, was Augenzeugen bereits am Dienstag berichtet hatten: Öcalan ist auf die Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer gebracht worden. Die Insel wird durch mehrere Kriegsschiffe abgeschirmt, ständig kreisen Hubschrauber über dem Eiland. Nach Informationen der Zeitung Hürriyet wird Öcalan in einer Spezialzelle rund um die Uhr bewacht.

Um Befürchtungen aus dem Ausland, Öcalan sei vielleicht verletzt oder werde womöglich gefoltert, zu begegnen, veröffentlichte des Amt des Ministerpräsidenten gestern ein Video, das Öcalan im Flugzeug auf dem Weg von Kenia in die Türkei zeigt. Er ist gefesselt, offenbar aber nicht verletzt. Er wird aus dem Kreis der ihn begleitenden Personen angesprochen und gefragt, ob er einen Wunsch habe, ob er Probleme mit seinen Augen oder seinem Magen habe. Öcalan geht in seiner Antwort nicht darauf ein, sondern sagt: „Ich liebe das türkische Volk. Wenn man mir die Chance gibt, mich nützlich zu machen, wenn ich etwas tun kann, werde ich das tun.“

Öcalan soll vor dem Staatssicherheitsgericht in Ankara angeklagt werden. Dort soll eine zentrale Anklage vorbereitet werden, die Straftaten aus dem gesamten Land zusammenfaßt. Neben Landesverrat und Separatismus werden ihm Tausende von Mordanschlägen zur Last gelegt. Öcalan, mutmaßte ein türkischer Juraprofessor gestern, wird wohl als der Angeklagte in die türkische Geschichte eingehen, gegen den am häufigsten die Todesstrafe beantragt wurde.

Trotz mehrerer Anläufe ist die Todesstrafe in der Türkei noch nicht abgeschafft worden, sie wird aber seit 1984 nicht mehr vollstreckt. In dem bereits erwähnten CNN-Interview sagte Ecevit gestern, er persönlich sei seit langem für die Abschaffung der Todesstrafe, das stünde derzeit aber nicht auf der Agenda des Parlaments. Öcalan soll von türkischen Anwälten verteidigt werden. Seine holländische Anwältin Birgit Böhler wurde am Mittwoch morgen am Flughafen Istanbul festgehalten und nicht ins Land gelassen.

Das Parlament soll in den kommenden Tagen zu einer Sondersitzung zusammengerufen werden, um ein erweitertes Kronzeugengesetz, ein sogenanntes Reuegesetz zu beraten. Danach sollen PKK- Militante, die sich ergeben und Aussagen über die Organisation machen, einen erheblichen Straferlaß bekommen. Ecevit hofft, damit einen relevanten Teil der verbliebenen PKK-Kämpfer zur Aufgabe bewegen zu können. Das Militär geht davon aus, daß noch 3.500 PKK-Guerilleros aktiv sind, davon 1.500 in der Türkei.

Ein weitergehendes Entgegenkommen im Sinne der politischen Forderungen der PKK und auch anderer kurdischer Organisationen schließt die derzeitige Regierung aber nach wie vor aus. Autonomieregelungen und eine Föderation wird es nicht geben, sagte Ecevit. Man wolle aber nun ökonomische, soziale und bildungspolitische Maßnahmen zur Entwicklung des Südostens ergreifen. Auch Vertreter anderer Parteien äußern sich in diesem Sinne. Der Sprecher der linken ÖDP, Saruhan Oluc, sagte gestern, die Türkei gehe im Moment durch eine sehr kritische Phase. „Wenn wir nicht noch mehr Haß, noch mehr Feindschaft wollen, müssen wir endlich unsere Aufgaben machen.“

Die PKK reagierte unterdessen mit Aufrufen an die kurdische Bevölkerung in der Türkei, ihren „Widerstand gegen den faschistischen Staat“ zu verstärken. „Wenn unbedingt verbrannt werden soll“, sagte ein ZK-Mitglied, „dann dürfen wir nicht uns selbst verbrennen, sondern das Ziel sollte der Feind sein.“ Wie das konkret aussehen kann, ist im Moment Gegenstand vielfacher Spekulationen. Türkische Medien wollen von heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der PKK wissen, wo bereits jetzt ein Kampf um die Nachfolge Öcalans entstanden sei. Exponenten dabei sind sein Bruder Osman Öcalan und verschiedene Feldkommandanten der PKK. Osman Öcalan wird in dieser Auseinandersetzung vorgeworfen, er habe sich die ganzen letzten 15 Jahre im sicheren Damaskus aufgehalten und könne nun nicht die Kämpfer kommandieren. Allerdings ist die PKK auch nach Aussagen von Aussteigern kaum noch in der Lage, von den Bergen zu agieren. Statt dessen befürchten hiesige Sicherheitsleute, daß die PKK jetzt dazu übergehen könnte, Anschläge in den türkischen Metropolen zu machen. Das deckt sich mit Ankündigungen aus der Organisation. „Man muß davon ausgehen“, sagte Europasprecher Kani Yilmaz vor wenigen Tagen, „daß die gesamte Türkei zum Kampfgebiet wird.“ Jürgen Gottschlich, Istanbul

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