: Gleitbewegung ins Ungewisse
Fliegen lernen – Fallen üben: Das Stuttgarter Theater Rampe versteht sich als erstes deutsches Autorentheater und schwärmt vom schwäbischen Publikum. Ein Porträt ■ Von Sabine Leucht
Ein Ort der Frische: noch nicht wohnlich gemacht, aber offensichtlich für bewohnbar befunden. Ein Ort zum Abfahren und Ankommen, zum Bleiben, zum Schauen: ein Theater. Jeden Abend um 21 Uhr wird es zugig im Foyer der Rampe. Dann läßt die große Glastür an der Rückseite zwei Züge der Linie 10 zur Nachtruhe ein. Groß, gravitätisch, gelb zuckeln sie in Richtung des langen Kassentisches, der den imposanten Raum in eine Alltags- und eine Kunstseite zerschneidet. Und das so beiläufig, daß man nicht umhin kann, darin, daß die Wand zwischen Foyer und Straßenbahndepot kürzlich eingerissen wurde, ein Symbol zu sehen.
Die Theatermacherin Regula Gerber war es, die aus dem Keim einer Studentenbühne ab 1984 eine Zierpflanze nicht nur des Stuttgarter Kulturlebens hochgepäppelt hat. Zunächst mit wechselnden Spielstätten, dann, ab 1992, fest im Haus in der Filderstraße 47. Nach dem Weggang der Theatermutter nach Bielefeld im letzten Jahr war die Zukunft des kleinen Theaters eine Zeitlang ungewiß. Dann hat sich der hinter der Rampe stehende Privatverein, der zu zwei Dritteln von der Stadt und zu einem Drittel vom Land subventioniert wird, zu einer öffentlichen Ausschreibung entschlossen. Seit Beginn dieser Spielzeit hat die Rampe nicht nur ein noch offeneres Gesicht, sondern auch ein taufrisches Programm: Mit der Idee des ersten deutschen Autorentheaters konnten Eva Hosemann und Stephan Bruckmeier über sechzig Mitbewerber auf die Plätze verweisen.
Das Intendantenpaar kommt aus Wien, wo Hosemann Schauspielerin am Burgtheater, Bruckmeier Regisseur am Volkstheater war und beide zusammen das „theater-bureau“ gründeten. Schon dort und während ihres dreijährigen Intermezzos in Köln hatten die beiden viel mit Gegenwartsautoren zu tun: „Den Weg gehen wir schon lange“, sagt Eva Hosemann. „Nur jetzt endlich mit Haus.“
Dort, wo es für die Züge „Endstation Marienplatz“ heißt, finden seit September 1998 junge deutschsprachige Autoren eine Rampe zum Abheben und etwas ältere einen Ort, um womöglich noch mal anders in Schwung zu kommen. In dem kontrastreichen Mammutprogramm von vierzehn Premieren in der ersten Saison finden sich nicht nur Insidernamen wie der des Linzer Autor-Regisseurs Harald Gebhartl oder der jungen Stuttgarterin Felicia Zeller, sondern auch schon erprobte Texte wie Klaus Chattens „Sugar Dollies“ oder Ernst Jandls „Aus der Fremde“. Wenn die deutschsprachige Autorenlandschaft eines besitzt, dann ist es offenbar Vielfalt. Das andere, was den Geist des Hauses prägt, ist der Ton der Vermittlung: In den alten Zahnradbahnhof ist keine Crew von Besserwissern eingezogen, der das Trendig-Neue jeden Preis wert ist. Vielmehr gleitet das Publikum hier zum Ungewissen hin.
Wo die Züge schlafen gehen, dreht sich das bunte Leben geschäftig unaufgeregt um das Wohl der Kulturinteressierten: Es gibt eine eindrucksvolle hauseigene Theaterzeitschrift, das drama/heft, und regelmäßige Kunstfeste. Und in der einstigen Kantine der Stuttgarter Straßenbahner wohnt mittlerweile ein Stück Wiener Lebensart: Zum kleinen Braunen und Grünen Veltliner (preiswert!) gibt es Langschläferfrühstücke, Autorenlesungen und Verschiedenes zum Selberschmökern rund um einen Flügel. Neuerdings findet hier auch ein „Café philosophique“ statt, in dem die Rampe in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Institut Français den „Ausbruch freier und erfinderischer Reden“ fördern will.
Bei der Veranstaltungspremiere Ende Januar haben sich zum Thema „Modernität“ achtzig Leute in den winzigen Raum gepreßt. Das Stuttgarter Publikum sei wunderbar, sagen die beiden Regie-Dramaturgie-Intendanten, die trotz ihrer weiteren Verpflichtungen als Schauspielerin (Hosemann) und Bühnenbildner (Bruckmeier) allabendlich auch noch selbst an Kasse und Einlaß stehen.
Überhaupt geraten die Klischees, die man über die Schwabenmetropole im Kopf hat, im Laufe des Gesprächs gehörig in Bewegung. Nachhaltig kölngeschädigt kann Stephan Bruckmeier noch immer darüber staunen, daß sich in der Hauptstadt des Ländles „die Kultursprecher der verschiedenen Parteien erst um Kultur kümmern und dann um die Parteien. Das glaubt doch keiner!“ Wieso nicht? Wenn es doch auch möglich ist, mit nur sechs festen Schauspielern und drei Technikern ein Spielplanpolster auf die Beine zu stellen, das so dick ist, damit ab der nächsten Saison der Kern der neuen Rampe-Arbeit in Angriff genommen werden kann: die Interaktivität.
Aus der gegen Spielzeitende anstehenden Dramatisierung von Sibylle Bergs „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“ wird sich voraussichtlich ein Auftragsstück ergeben – „wenn sie sieht, was man aus einem Roman auf der Bühne machen kann“. Außerdem soll Eugen Ruge ein Stück zusammen mit dem Ensemble entwickeln. Und Felicia Zeller, deren „Immer einen Hund gehabt...“ schon am Haus läuft, wird dort mit einem Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg bald ein Jahr lang „machen dürfen, was sie will“. „Feldforschung“ kann man das nennen oder einfach eine nützliche Gelegenheit „zum Üben“.
Denn anders als die Autorenvereinigung Theater Neuen Typs versteht sich die Rampe nicht als Interessenvertretung für Autoren, und ungleich der Berliner Gruppe Uraufführungstheater geht es ihr nicht nur um Texte, sondern um Reibung, ja „Konfrontation“. Um Arbeit mit Autoren, die möglicherweise nicht wissen, „wie ein Dialog auf der Bühne funktioniert“. Der Text von einem, der es wissen müßte – schließlich ist Jens Groß Dramaturg in Hannover – hatte letzte Woche Premiere: „Stuhl-Gang und Gesang oder Schleifspur der Erinnerung“ ist ein handlungsarmes Taumeln zwischen Mann, Frau und Stuhl, Political Correctness, Tragödie und Kitsch.
Es ist nicht leicht zu verstehen, was Stephan Bruckmeier, dessen Regie sich gottlob mit eigenen Spitzfindigkeiten zurückhält, an diesem Autor interessiert hat. Noch die hübschesten und eindringlichsten Bilder, die er für die Bühne findet, werden von der Textfülle glatt überrollt. Seltsamerweise kommt einem dieser Versuch dennoch völlig berechtigt vor: Nicht alle zeitgenössischen Autoren werden hier das Fliegen lernen. Da muß es möglich sein, wenigstens das Fallen zu üben.
In einem weiten Spektrum – und das ist nun wieder ganz ähnlich wie an den großen Häusern – hat jeder Versuch seinen Platz. Und der definiert sich nicht allein über ästhetische Kriterien: Am 26. Januar hatte „Elisabeth“ nach Dario Fo Premiere im Zahnradbahnhof: Eine doppelte Abschlußarbeit der Hochschulen für Druck und Medien und Puppenspiel, für die das Rampe-Team lediglich Raum und Logistik zur Verfügung gestellt hat im Tausch gegen neue Publikumsschichten.
Und mit dem Linzer Phoenix- Theater unterhalten die Stuttgarter eine ökonomische Gemeinschaft, durch die jeder zwei neue Produktionen ans Haus bekommt, obwohl er nur für eine bezahlt hat. Für Eva Hosemann ist das „der Weg der Zukunft“. Und man glaubt ihr, daß die Rampe damit vorankommen wird. Im Lesecafé hängt ein altes Schild: „Pendelzug Neulengbach – Wien Westbahnhof. Hält in allen Bahnhöfen und Haltestellen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen