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Noch ein Dementi gefällig?

■ Drei Prozent mehr Mehrwertsteuer? Kommt nicht in Frage, sagt der Finanzminister. Jedenfalls vorerst. Neue Gerüchte und Dementis im Mai

Berlin (taz) – Die schönsten Dementis sind die zur Mehrwertsteuer. Sie lassen nicht lange auf sich warten – und man kann sie gleich wieder vergessen. Mehrwertsteuer-Dementis sind von grimmiger Entschlossenheit – aber ihre Auslegung verdient exegetisches Herangehen. „Das sind erfundene Diskussionen“, verwies gestern etwa der Finanzminister des Bundes, Oskar Lafontaine (SPD), Spekulationen um ein drastisches Anheben der Mehrwertsteuer ins Reich der Fabel. In einer seriösen Tageszeitung hatte es geheißen, die Steuer werde um drei Prozent angehoben.

Lafontaines Nachsatz freilich verwandelte das starke „Nein“ als sibyllinische Ankündigung. „Die gegenwärtige konjunkturelle Situation“, meinte der Kassenwart, „erlaubt keine Steuerdiskussion. Dabei bleibt es“, sagte er – und man würde gerne komplettieren: bis zum Mai. Dann kommt die Steuerschätzung, die Auskünfte über die Kassenlage des Bundes und die ersten Auswirkungen der rot-grünen Finanzpolitik bringt.

Über die Mehrwertsteuer beteiligt sich der Staat an jeder Art Warenverkehr und Dienstleistung mit 16 respektive sieben Prozent. Über 250 Milliarden Mark spült die Umsatzbeteiligung dem Fiskus in die Kasse. Ein Prozentpünktchen mehr – und Lafontaines Buchhalter schreiben 15 Milliarden Mark mehr in ihre Bücher. Politiker, die sich zu unbedarften Spekulationen über die Mehrwertsteuer hinreißen lassen, bereuen dies meist sehr schnell. Das vielbeachtete Nesthäkchen im Kabinett Kohl zum Beispiel, Claudia Nolte. In einer ehrlichen Sekunde sagte sie zu Spekulationen um eine Erhöhung der Mehrwertsteuer: „Da hören sie von mir ein klares Ja.“ Das war mitten im Wahlkampf, zu Hause in Suhl. Die folgenden Tage war Nolte wieder in Bonn – vorrangig damit beschäftigt, Dementis zu verfassen und ihrem Kanzler aus dem Weg zu gehen.

So lustig war es gestern auch. „Ich bin schlicht und einfach überfragt“, gestand ein SPD-Haushälter. Oder aus den gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen des grünen Koalitionspartners kicherte es vergnügt, man sei natürlich dagegen, die Mehrwertsteuer anzuheben. „Über all wird wie wild dementiert – da machen wir gerne mit!“

Der Dramaturgie des Genossen Lafontaine kommt dieser Abnutzungseffekt zupaß: Im November erregten Versuchsballons aus NRW noch große Aufmerksamkeit. Im Januar schmiß Bild die Spekulationen auf den Boulevard – mit respektabler Reaktion. Die Meldung der Süddeutschen am Donnerstag schreckte dann kaum mehr. Was also, wenn im Frühsommer der Bundeshaushalt für das Jahr 2000 ein Loch haben wird? Christian Füller

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