piwik no script img

"Sollen nur kommen, die Kurden"

■ "Kurden und Türken sind Brüder", beruhigt ein Kurde in Berlin seine türkischen Freunde. "Wir! Ihr! Das ist doch alles Scheiße", empört sich in Stuttgart eine kurdische Schülerin über ihre türkische Freundin

Alles hat den Anschein, als sei nichts passiert. Ein paar Männer sitzen an den Tischen, halten ihr Kartenblatt, ziehen neue vom Stapel, rauchen und werfen sich ein Paar Brocken zu: Es geht um Geld, und da ist man schließlich bei der Sache. In dem türkisch-kurdischen Kaffeehaus im Berliner Bezirk Kreuzberg bewahren die Männer wenige Stunden nach den tödlichen Schüssen im israelischen Generalkonsulat Ruhe. „Nein, über Politik wollen wir nicht reden“, wiegelt einer ab. „Wir lieben doch alle Menschen“, sagt er und lacht. Die vier Türken um die vierzig heben entschuldigend die Arme. Mehr gebe es nicht zu sagen, man könne hier nicht reden. Dabei schauen sie mißtrauisch im Raum herum: „Nein bitte, Sie müssen verstehen.“

An einem Billardtisch macht ein junger Mann auf sich aufmerksam. „Komm mal her“, sagt er fordernd und schaut streng. Er hat mitbekommen, daß es um sein Volk, die Kurden geht, und um die Stimmung zwischen ihnen und den Türken, die in Kreuzberg so nahe zusammenleben, wie sonst nirgends in Deutschland. Haus an Haus, Wohnung an Wohnung. Selbst in der Türkei sind die Territorien zwischen den beiden Völkern meist deutlicher abgesteckt als im Mikrokosmos Kreuzberg und seinem benachbarten Stadtteil Neukölln.

Mehmet, so will der 22jährige Kurde genannt werden, gibt sich staatsmännisch. „Das ist ein Rechtsstreit.“ Auf das Zusammenleben von Türken und Kurden in der Stadt habe die Entführung Öcalans keine Auswirkung. „Ich habe türkische Freunde“, sagt er moderat. Doch dann schaltet sich ein Bekannter ein. Ein deutscher Behördenangestellter kurdischer Herkunft. Der junge Deutsche mit Gel im Haar und goldener Panzerkette um den Hals, findet zwar auch, daß „Kurden und Türken eigentlich Brüder“ sind. Doch „jetzt sollen die Türken am eigenen Leib erfahren, was Schmerzen sind“. Das Wort Terroranschläge steht im Raum, doch keiner spricht es aus. Unwillkürlich stellt man sich vor, wie in Istanbul und Ankara die Bomben hochgehen. „Eine andere Sprache, die politischer Lösungen, hat die türkische Regierung nun mal nicht verstanden“, bekräftigt der junge Mann seine Position. Dem Verbrennungsversuch der 17jährigen Kurdin am Tag zuvor „zollt er großen Respekt“. Mit dieser Tat habe sie gezeigt: Wenn ich mich verbrennen kann, wißt ihr, was ich mit Euch machen kann.

Die Kurden, geht er wieder auf den internationalen Konflikt ein, seien nun mal „von ganz Europa verarscht worden“. Europa ginge es nur um wirtschaftliche und militärische Interessen. Da hätten Kurden eben nichts zu bieten. Und während er das alles in flüssigem Deutsch vorträgt, erzählt er so nebenbei, daß er schon als Baby nach Deutschland gekommen und hier aufgewachsen ist. Trotzdem: Obwohl er in die deutsche Gesellschaft weitgehend integriert ist, ist die kurdische Sache auch seine Sache. Und die Freunde stimmen ihm zu: gut gesprochen habe er, aber er solle vorsichtig sein. Man wisse nicht wirklich, wer diese Frau sei, mit der er redet. „Bist Du vom türkischen Geheimdienst?“ fragt ein anderer plötzlich. Der Deutsche kurdischer Herkunft läßt sich nicht beirren. Er will seine Botschaft loswerden. Ein Dritter redet plötzlich aufgebracht in kurdisch auf ihn ein. Der Chef kommt. „Gehen Sie, Sie haben genug gefragt. Wir wollen keinen Streit.“

Kurden und Türken besuchen die gleichen Dönerbuden und Restaurants, kaufen beim selben Metzger ein, sind mit dem gleichen Obsthändler befreundet. In einem Imbiß sitzen Türken und Kurden an einem Tisch. Sie kennen sich schon seit Jahren, wie eine türkische Frau, eine Berufsschullehrerin, wenig später erzählt. Doch die Kurden hier wollen an diesem Tag der Täter und Opfer nicht über Politik reden und stehen sofort vom Tisch auf. „Öcalan ist ein Terrorist, wie Ulrike Meinhof es war“, sagt die Türkin, die schon seit über 30 Jahren in Deutschland lebt. Öcalan trage die Verantwortung für den Tod von 30.000 Kurden in der Türkei, nicht der türkische Staat, sagt sie entschieden. „Auch Neugeborene sind dabei umgekommen.“

Auf der Straße vor dem Imbiß fahren unterdessen immer häufiger Polizeiwannen vorbei. Langsam, manchmal wenig mehr als im Schrittempo. Am Kottbusser Tor, einem zentralen Platz im Bezirk, hat seit 20 Uhr eine Einsatztruppe der Polizei mit einem Wagen Posten bezogen. Sie sind sich sicher, heute nacht wird noch etwas passieren. Und auch die türkischen Kellner eines kleinen Restaurants wenige Meter weiter haben von Bekannten gehört, daß sich Kurden formieren wollen. Einer schaut immer wieder auf die Straße. Es herrscht angespannte Ruhe. Selbst eine Ansammlung von Passanten an einer Bushaltestelle halten die Kellner im ersten Moment für einen Startschuß der kurdischen Aktivisten. Sie befürchten, daß Steine in ihre Fensterscheiben fliegen könnten. Die Polizei beobachtet die Lage. Die Beamten rauchen. Gegen Viertel nach elf werden sie abgezogen. In dieser Nacht ist es gut gegangen. Annette Rollmann, Berlin

Die enge, dunkle Firnhardstraße in der Stuttgarter Innenstadt vor dem griechischen Konsulat ist mit Gittern abgesperrt. Dahinter diskutieren drei Polizisten die Schüsse von Berlin. Sie sind sichtlich bedrückt: „Die haben einfach in die Menschen reingeschossen“, schüttelt einer den Kopf. Vor der Jüdischen Gemeinde zwei Ecken weiter steht ein Streifenwagen. Die griechische Bank ist unbewacht. Gleich nebenan vor dem Kebab-Imbiß telefonieren zwei elegante junge Männer per Handy. Nein, sie sind keine Wachen, die türkische Lokale schützen sollen, sie rufen nur die Freundin an. Angst haben sie nicht, sondern hoffen, „daß das schnell wieder vorbei ist“. „Unsere Eltern sind Türken. Wir sind Schwaben.“

In Stuttgart mit seinen 554.494 Einwohnern leben fast 25 Prozent Ausländer. Nur 26.339 Menschen, Kurden inbegriffen, sind als Bürger türkischer Herkunft gemeldet. Die Kebab-Gastronomie rund um die noble Königsstraße ist eine gemischte Angelegenheit. In einer der Imbißbuden sorgt sich der schwäbische Wirt mehr um einen Wasserschaden in der Winterkälte als um Anschläge. Manche der Imbißstände sind eher kleine Lokale, Edelvarianten, in denen pakistanische Köche und deutsche Bedienungen den Gästen Salate und vegetarischen Döner servieren.

Nur in einem, nahe einer Hauptverkehrsstraße, ist es fast leer. Hier ist die bunte Dekoration nicht Folklore, sondern Heimatgefühl. Fünf alte Männer sitzen vor winzigen Kaffeetassen und wenden die breiten Schultern ab: „Nix sagen! Nix in die Zeitungen schreiben.“ Wenige Stunden zuvor haben schräg gegenüber wieder einige 100 Kurden demonstriert. „Wir haben keine Angst“, sagt einer dann doch. „Aber sie sollen nur kommen, die Kurden.“

Der türkische Vizekonsul Gökhan Turan lobte am Mittwoch die Stuttgarter Polizei für ihre Besonnenheit. Er registrierte in den letzten beiden Tagen viele Anrufe besorgter Landsleute und rät zu Ruhe und Zurückhaltung. Von Schutzmaßnahmen der türkischen Community ist in Stuttgarts City nichts zu bemerken. Einige Geschäftsleute haben sich Feuerlöscher unter den Tresen gestellt und die Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr in ihre Telefonanlagen einprogrammiert. „Was sollen wir tun? Wir ducken uns weg.“

In manchen Banken und Reisebüros werden die Kunden genau beobachtet oder nur einzeln eingelassen. Tatsächlich kommt es dann in der Nacht wieder zu Anschlägen auf türkische Einrichtungen. Im Osten fliegen mehrere Brandsätze in den Lebensmittelgroßmarkt und die Werkstätten unter dem islamischen Gebetszentrum. Außerdem werden ein Kebab-Stand und ein Lebensmittelgeschäft angegriffen. Es entsteht jedoch nur Sachschaden.

In einem italienischen Bistro sitzen an diesem Mittwoch abend die Schülerinnen Aishe und Günsel (Namen von der Red. geändert). Sie sind Freundinnen. Aishes Eltern kommen aus Kurdistan, Günsels sind Türken. Günsel findet die Entführung von Öcalan richtig: „Der muß bestraft werden. Der hat Hunderttausende umgebracht!“ Aishe ist wütend: „Das ist doch gar nicht wahr. Guck mal, was ihr uns angetan habt!“ Auch Günsel wird wütend: „Wir haben Angst. In den Häusern hier über den Läden wohnen doch Menschen!“ Dann wandern zwei Hände über den Tisch und halten sich fest. „Aufhören!“, sagt Aishe, „Wir! Ihr! Das ist doch alles nur noch Scheiße!“ Heide Platen, Stuttgart

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen