Tausende „nach Hause schicken“

4000 KurdInnen demonstrieren friedlich für die Freiheit von PKK-Chef Öcalan. Viele PassantInnen besänftigt das nicht  ■ Von Heike Dierbach

Ein paar Gitarrentakte klingen aus dem Lautsprecher. Es wird still unter den DemonstrantInnen, dann fällt die Menge ein: „Niemand kann sagen, daß es keine Kurden mehr gibt. Die Kurden werden immer leben...“ Die kurdische Hymne schlängelt sich durch den eiskalten Hamburger Regen auf der Moorweide. Fast alle haben die Hand zum Victory-Zeichen erhoben oder klatschen im Takt; ein kleines Mädchen hält eine gerahmte Fotografie hoch: der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan, umringt von jungen Guerilla-KämpferInnen.

Das Lied ist zu Ende. Vom Lautsprecherwagen werden die Parolen für die Demonstration ausgegeben: „Terrorist: Türkei, USA, Israel – gestern Vietnam, heute Kurdistan – Lang lebe Apo – wir sind mit dir, was auch passiert, Öcalan – schlag zu, Guerilla, und errichte Kurdistan – deutsche Panzer raus aus Kurdistan.“

Jemand verteilt Plastiktüten an die, die keine Kapuzen haben, dann setzt der Zug von rund 4000 Männern, Frauen und Kindern sich in Bewegung. Die Kleinen „verstehen schon, worum es geht“, erklärt eine kurdische Mutter und erzählt: „Als ich ein Kind war, haben sie uns in der Schule geschlagen, wenn wir kurdisch gesprochen haben.“

„Wir wissen, daß ihr wütend seid“, tönt es aus dem Lautsprecher, „aber laßt uns ruhig bleiben.“ OrdnerInnen mit roten Armbinden weisen die DemonstrantInnen an, in Fünferreihen zu gehen.

Einige PassantInnen lassen sich von dem geordneten Protest nicht besänftigen. „Die sollte man alle nach Hause schicken“, zischt eine Frau auf dem Gänsemarkt. Nach Hause? „Na, nach Kurdistan! Damit unsere Polizisten sich nicht prügeln müssen.“

Die DemonstrantInnen setzen sich gerade hin. Auf ein Zeichen der OrdnerInnen verstummen sie zum „stillen Protest“, wie ein Organisator erklärt. „Ist schon beeindruckend, wie viele Leute die mobilisieren können“, bemerkt eine Frau in Hut und langem Mantel fast widerwillig anerkennend, „das ist eine richtige Gemeinschaft.“

Die Menge erhebt sich wieder und zieht weiter, über den Jungfernstieg zum Ballindamm. Vor den Filialen von American Express und dem türkischen Kreditinstitut Isbank haben sich Polizisten in Dreierreihen postiert, vor ihnen eine Kette OrdnerInnen. Auf der Kennedybrücke lästern zwei Beamte lautstark über die Pluderhose einer älteren Demonstrantin.

Der Zug erreicht wieder die Moorweide, die sich inzwischen in eine Schlammwüste verwandelt hat. Eine geplante Freiluft-Pressekonferenz fällt mangels Medieninteresses aus. Drei Jugendliche drängeln sich vor eine Fernsehkamera und rufen Parolen. Einige umstehende ältere Kurdinnen schütteln die Köpfe und lachen. Die Demonstration ist zu Ende. Aus den Lautsprechern ertönt wieder Musik. Es regnet immer stärker. Die OrdnerInnen fassen sich an den Händen und beginnen zu tanzen.