Ökolumne
: Scheues Kapital

■ Gegen Finanzkrisen bleibt der G7 nur eine gemeinsame Wirtschaftspolitik

Kapital ist wie ein scheues Reh. Erschreckt man es, läuft es davon. Erschreckt waren die internationalen Kapitalgeber, gerne Spekulanten genannt, im Sommer 1997 über die Entwicklungen in den aufstrebenden asiatischen Ländern. Um die 100 Milliarden US-Dollar zogen sie in der zweiten Jahreshälfte 1997 aus den Staaten ab – mit dramatischen Folgen. Den nun Arbeitslosen oder Verarmten half es wenig, daß der Internationale Währungsfonds (IWF) Milliarden von Dollar in die Staatswirtschaften pumpte und Reformen anmahnte. Der IWF empfahl seine üblichen Hausmittel: höhere Zinsen, um das Geld im Land zu halten und weniger öffentliche Ausgaben, um den Staatshaushalt zu festigen. Doch diese Auflagen halfen nicht, sie verschärften die Rezession.

Kaum hatte sich die Welt an den Kollaps Asiens gewöhnt, brach im August 1998 Rußland zusammen. Wieder reisten die IWF-Krisenmanager herbei, wieder predigten sie ihre Reformen, und wieder stabilisierte sich die Lage nicht.

Kaum jedoch hatte dieses Jahr begonnen, flüchteten Milliarden Dollar aus Brasilien. Diesmal war der IWF schon da und hatte seine Hausmedizin verschrieben. Schließlich schwächelte Brasilien schon seit der Asienkrise, und die Finanzdiplomaten hatten dem Land 47 Milliarden Dollar gewährt. Doch erneut ohne Erfolg: Auch Argentinien, Kolumbien und Chile wurden mit in den Strudel gezogen. Wieder stehen Montagebänder still, wieder werden Fabriken verriegelt und Arbeitnehmer entlassen. Und wieder verlieren europäische und nordamerikanische Unternehmen. Was unternehmen Vorstände in solchen Fällen? Sie senken die Kosten, vor allem durch Streichen von Arbeitsplätzen – und immer häufiger durch Fusionen, die wieder Jobs kosten.

Gründe gibt es also mehr als genug für die Regierungschefs auch der stabilen Wirtschaftsnationen, sich endlich mit dem globalen Geschehen zu beschäftigen. Nachdem sie in den vergangenen 15 Jahren Handelshemmnisse fast vollständig abgebaut haben und sich die Welt nicht mehr in zwei politische Blöcke teilt, gestalten Unternehmen und Kapitalbesitzer die weltweite Wirtschaftpolitik. Die Regierungen und die internationalen Organisationen wie Europäische Union, Weltbank oder Währungsfonds können zwar in Krisenfällen auf die Hausapotheke verweisen. Aber Wirtschaftspolitik gestalten, Ländern und ihren Bewohnern zu einem langfristigen und gesicherten Auskommen verhelfen, können sie nicht. Selbstverständlich ist jeder Staat zunächst für sich selbst verantwortlich, und in den Krisenstaaten finden Reformer ein weites Betätigungsfeld. Aber die Vergangenheit lehrt, daß angesichts des grenzenlosen Kapitalverkehrs eine grenzenlose Wirtschaftspolitik erdacht werden muß.

Bislang haben Ökonomen und Finanzpolitiker der G7-Staaten zwar Theorien entwickelt, aber keine praktikablen Konzepte. Finanzminister Oskar Lafontaine wollte mal die Weltwährungen Dollar, Yen und Euro aneinander koppeln. Eine kühne Forderung, von der er nach energischen Protesten inzwischen abgerückt ist. Unter anderem deswegen, weil die USA dagegen sind. Japans Regierung, von jeher Anhänger starker staatlicher Kontrolle, propagiert dagegen Zielzonen und Kapitalkontrollen. Genaueres war allerdings auch aus Japan bislang nicht zu erfahren. Es gibt noch nicht einmal ein ständiges Gremium der G7. Wenn die Finanzminister und die Notenbankchefs der führenden Industriestaaten heute in Bonn zusammenkommen, werden sie daher darüber sprechen müssen, wie sie künftig zusammen sprechen können.

Als kleinster gemeinsamer Nenner wäre ein Gremium aus Finanzexperten möglich, das die Kapital- und Devisenmärkte beobachtet und darüber berichtet. Das hat mit internationaler Strategie noch nichts zu tun. Doch Strategien setzen eben auch Ideen voraus, die über reine Kontrolle hinausgehen. Und sie erfordern Mut von den Nationalstaaten, sich von einem Teil ihrer Autonomie zu trennen: Wenn zum Beispiel eine Weltzentralbank eingerichtet würde, wenn schon jetzt die Europäische Zentralbank manchen europäischen Staatschef zu selbstherrlich regiert. Auch der Vorschlag von George Soros, eine globale Kreditversicherung einzurichten, sollte erwogen werden. Das Risiko einer solchen Institution dürfte anders als beim IWF nicht wieder nur bei den Steuerzahlern liegen, sondern ausschließlich bei den kreditgebenden Banken.

Aber selbst wenn sich die G7-Finanzpolitiker einig werden, so ist ihr Einfluß begrenzt: Denn Rehe kann man schießen, aber nicht kontrollieren. Ulrike Fokken