Öcalan, ein griechisches Dilemma

■ Die Umstände der Festnahme Abdullah Öcalans bringen Griechenlands Regierung mächtig ins Schwitzen. Alles deutet darauf hin, daß der griechische Geheimdienst EYP bei der „Betreuung“ des PKK-Chefs auf eigene Faust gehandelt hat

Die Odyssee des Abdullah Öcalan, die am Montag mit der Entführung aus Kenias Hauptstadt Nairobi endete, läßt sich inzwischen in groben Zügen rekonstruieren. Grundlage für eine detaillierte Beschreibung der Verschleppung des PKK-Chefs in die Türkei sind einerseits die Äußerungen der inzwischen entlassenen griechischen Minister und der beteiligten Geheimdienste sowie die Recherchen seriöser griechischer und türkischer Zeitungen. Die Informationen zum Fall Öcalan sind keineswegs widerspruchsfrei, und in vielen Detailfragen ist noch mit Überraschungen zu rechnen.

19. Oktober 1998: Der Führer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, landet unangemeldet auf dem Athener Flughafen und beantragt politisches Asyl. Unklar ist, ob er noch auf der Landebahn zurückgeschickt oder in den VIP-Bereich vorgelassen wurde. Griechenlands Ministerpräsident Simitis lehnt kategorisch ab, den PKK-Führer ins Land zu lassen. Öcalan fliegt nach Moskau weiter. Für Athen gilt seitdem der Grundsatz, daß Öcalan in Griechenland noch unerwünschter ist als in jedem anderen EU-Land. Man will der Türkei keine Chance geben, eine neue griechisch-türkische Krise zu inszenieren.

16. Dezember 1998: Öcalan ist aus Italien verschwunden, wo er am 16. November, aus Moskau kommend, aufgetaucht war. Über seinen neuen Aufenthalt gibt es nur wilde Spekulationen.

29. Januar 1999: Öcalan landet im Privatflugzeug eines griechischen Industriellen in Athen. Die PKK- Delegation kommt aus St. Petersburg, in Begleitung von Vizeadmiral a.D. Antonis Naxakis, der sich als Privatmann und strammer griechischer Nationalist für die Kurden engagiert, aber auch Verbindungen zum militärischen Geheimdienst unterhält. Naxakis hat zwei Agenten des staatlichen griechischen Geheimdienstes EYP dabei, die Öcalan und seine Entourage unkontrolliert über den VIP- Bereich einschleusen. Naxakis fährt die PKK-Gruppe zum Privathaus eines Freundes in Nea Makri nördlich von Athen.

30. Januar: „Privatmann“ Naxakis ruft im Büro von Außenminister Theodoros Pangalos an und teilt mit, daß Öcalan auf griechischem Boden gelandet ist und Asyl beantragen will. Mit Pangalos ist erstmals ein griechisches Regierungsmitglied über den unerwünschten Gast informiert. Der eigentlich zuständige Innenminister befindet sich in Marokko, wird aber informiert und gibt den Befehl, Naxakis und die Verantwortlichen auf dem Athener Flughafen verhaften zu lassen.

Nach seiner Rückkehr aus Marokko muß er feststellen, daß diese Anweisungen nicht ausgeführt wurden. Denn inzwischen haben Außenminister Pangalos und die EYP die Sache übernommen. Pangalos soll sich zu einem Geheimtreffen mit Öcalan im Haus von Naxakis bereit erklärt haben. Am Abend erscheint aber statt Pangalos der EYP-Chef Dimitris Stavrakakis. Ab diesem Zeitpunkt ist Öcalan nicht mehr „Privatgast“ eines pensionierten Militärs, sondern in der Obhut des EYP.

31. Januar: Gegen Abend versucht die Öcalan-Gruppe mit einem Privatflugzeug von Athen nach Rotterdam zu fliegen, um sich dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu stellen. Das Flugzeug, das nach Angaben des holländischen Öcalan-Anwalts Viktor Koppe einen Umweg über Minsk machte, darf in Rotterdam nicht landen und kehrt nach Griechenland zurück: auf den Flugplatz der Adriainsel Korfu.

Jetzt gerät die griechische Seite in Panik. Nachdem die „europäische Lösung“ gescheitert ist, müssen die EYP-Leute auf Anweisung des Außenministers dem PKK- Führer eine afrikanische Zwischenlösung schmackhaft machen: Öcalan soll in der griechischen Botschaft von Nairobi geparkt werden, dann werde man versuchen, politisches Asyl in einem afrikanischen Land zu organisieren (die Rede ist von Südafrika und Tansania), aber auch weiterhin in Europa zu sondieren. Als Begründung für den Zielort Nairobi hat Pangalos nach seinem Rücktritt die Begründung gegeben: Die Pässe der PKK-Leute seien so schlecht gefälscht, daß man sie nur in einem afrikanischen Land durch die Paßkontrolle schleusen könne.

Erst zu diesem Zeitpunkt, am dritten Tag nach nach Eintreffen des PKK-Führers in Athen, und nachdem die „Operation Rotterdam“ gescheitert ist, wird Ministerpräsident Simitis davon informiert, daß das Problem Öcalan ein griechisches geworden ist. Nach Aussage einer Zeitung ist „Simitis fast in Ohnmacht gefallen“.

1. bis 3. Februar: Öcalan befindet sich an einem unbekannten Ort in Griechenland in Obhut des EYP. Das Außenministerium bereitet den griechischen Botschafter in Kenias Hauptstadt Nairobi, Giorgos Kostoulas, auf hochsensible Gäste vor, die er in seiner Privatresidenz verbergen muß.

4. Februar: Die Öcalan-Delegation trifft mit einem Privatflugzeug (angeblich über Neapel) in Nairobi ein. Die PKK-Gruppe reist offenbar problemlos als diplomatische Delegation ein und begibt sich in die Residenz von Kostoulas, also auf griechisches Territorium. Öcalan beantragt erneut politisches Asyl bei den Griechen.

12. Februar: Öcalans zypriotischer Anwalt Kranidiotis fliegt über Brüssel nach Kenia. Vermutlich bringt er seinem Mandanten den zypriotischen Paß, der wenige Tage später über das türkische Fernsehen triumphierend präsentiert wird. Seit diesem Tag ist auch der türkische Geheimdienst MIT in Nairobi präsent. Einen Tag zuvor ist ein MIT-Kommando mit einem Privatflugzeug in Entebbe im benachbarten Uganda eingetroffen und hält sich bereit.

Wann und wie PKK-Chef Öcalan in Nairobi geortet wurde, ist nicht bekannt. Einiges spricht dafür, daß die CIA – in Nairobi seit dem Anschlag vor einigen Monaten stark vertreten – über den lebhaften Handy-Telefonverkehr der PKK-Leute eine Spur aufgenmmen und den türkischen MIT verständigt hat. Bezeichnend ist, daß das offizielle Washington eine „indirekte“ US-amerikanische Beteiligung an der Überführung Öcalans in die Türkei nicht mehr abstreitet. Die MIT-Leute nehmen Kontakt mit den kenianischen Behörden auf, die nach einigen Tagen die griechische Botschaft unterrichten, daß sie über die Identität des mysteriösen Gastes Bescheid wissen.

14. Februar: Die Griechen werden von der kenianischen Regierung ultimativ aufgefordert, den PKK- Führer, den sie illegal ins Land geschleust hätten, von ihrem Botschaftsgelände zu schaffen. Aus Athen üben Außenminister Pangalos und die EYP-Führung Druck aus, das Problem möglichst schnell zu lösen.

Vier EYP-Agenten treffen in Nairobi ein, was den Druck auf Öcalan verstärken soll. Die Kurden werden angeblich aufgefordert, die Weiterreise in ein afrikanisches Land zu erwägen. Öcalan lehnt aber strikt ab, weil er sich außerhalb der Botschaft nicht sicher fühlt. Nach griechischen Angaben soll er dennoch mit den Kenianern über den Abflug mit einer KLM- Maschine nach Holland verhandelt haben.

15. Februar: Die kenianische Polizei fordert die PKK-Leute ultimativ auf, binnen einer Stunde das griechische Botschaftsgelände zu verlassen. Der EYP-Agent Savas Kalenderidis hat laut dem privaten Athener Fernsehkanal Sky behauptet, die griechische Seite habe Öcalan gegen den Ratschlag der kurdischen Begleiter bedrängt, sich der kenianischen Polizei anzuvertrauen.

Er schließt daraus, die griechische Seite habe mit den US-amerikanischen und türkischen Geheimdiensten zusammengearbeitet. Wahrscheinlich ist, daß die Griechen ihren Gast unbedingt loswerden wollten, der aber selbst realisiert haben muß, daß er in Nairobi nicht mehr sicher war. Als die kenianische Polizei auftauchte, mußte Öcalan seine PKK-Begleiter zurücklassen und allein in ein Auto steigen, das ihn zum Flughafen bringen sollte. Der griechische Botschafter will hinterhergefahren sein, aber unterwegs den Anschluß verloren haben.

Wo die Kenianer ihren zur Abschiebung freigegebenen Gast an die türkischen Agenten übergeben haben, ist unklar. Der Chef der kenianischen Einwanderungsbehörde, der inzwischen gefeuert wurde, nimmt für sich in Anspruch, „an der Deportation des kurdischen Rebellenführers voll mitgewirkt“ zu haben. Nach türkischen Quellen haben die türkischen Geheimdienstleute ihn erst im Flugzeug erwartet. Niels Kadritzke, Jürgen Gottschlich