Der Nabu muß ohne den Bundeskanzler feiern

■ Umweltminister Trittin übernimmt nach Schröder-Absage dessen Rede beim Jubiläumsfestakt

Stuttgart (taz) – Dem langen Festakt folgte ein üppiges Buffett. In der Stuttgarter Liederhalle speisten die über tausend Gäste des Naturschutzbundes Deutschland Hühnercurry am Samstagmittag zum 100jährigen Jubiläum an historischem Ort: Just hier hatte die Frau Kommerzienrat Lina Hähnle 1899 die Gründungsversammlung des damaligen Bundes für Vogelschutz einberufen, der heute als Nabu eine Viertelmillion Mitglieder hat. Nur eines trübte die Stimmung: Ausgerechnet der prominenteste Eingeladene hatte seine Karte kurzfristig zurückgegeben: Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Der SPD-Politiker begründete die schroffe Absage mit einem Fernseh-Auftritt von Nabu-Präsident Jochen Flasbarth, bei dem sich dieser kritisch zum Bau des Ems-Sperrwerks der Meyer-Werft in Papenburg geäußert hatte. Sein Erscheinen in Stuttgart, so Schröder, könne deshalb von den Beschäftigten „und ihren Familien, deren soziale Sicherheit und materielle Zukunft mir sehr am Herzen liegt, völlig mißverstanden werden“. Flasbarth reagierte verschnupft: „Ich will nicht verhehlen, daß das trifft und auch verletzt.“

Und so mußten die Nachfahren Hähnles, denen zwei volle Stuhlreihen vorbehalten waren, und die übrigen Gäste sich die historische Eröffnungsrede zum Schutz der einheimischen Vögel „vor dem Menschen“ alleine anhören, die so schön klang wie am ersten Tag: „Wie ein nie zu sättigender Moloch verschlingt er jährlich Millionen der nützlichsten Geschöpfe eines flüchtigen Gaumenkitzels wegen. Außerdem verlangt die Hutmode jährlich 100 Millionen Vogelleichen.“

Dafür füllte Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) die vom Kanzler hinterlassene Lücke „gerne“. Die Rede des Regierungschefs, ließ er vorab mit nur feiner Ironie wissen, sei ohnehin „im Umweltministerium gefertigt“ worden. Und so sagte Trittin, was Schröder nicht mehr sagen mochte, zum Beispiel, daß, auch unter Berücksichtigung der Bedürfnisse autofahrender Menschen und der Industrie, „nachhaltig“ mit der Natur umgegangen werden müsse und daß der Atomausstieg „noch in dieser Legislaturperiode umfassend“ geregelt werde.

Für die Umweltorganisationen der Vereinten Nationen stellte sich der deutsche EX-Umweltminister Klaus Töpfer seinen ehemals schärfsten Kritikern in souveräner Launigkeit und dankte „für die meist sehr kritische Begleitung“ des Verbandes. Diese sei zwar manchmal „überzogen und ungerecht“ gewesen, aber für ihn dennoch lehrreich. Er plädierte für die „Wiederentdeckung der Ehrlichkeit“ bei den Kosten der Industrieproduktion, den Folgen des Kolonialismus für die Entwicklungsländer und machte die „Armut als die toxischste Substanz in der Welt“ aus. Die Veranstaltung endete mit einem internationalen Defilee der jungen Umwelt- und Naturschützer des Verbandes, die eine Wunschliste vom Kampf gegen den Smog in Griechenland bis zum Schutz der Seeadler in Frankreich geschrieben hatten. Heide Platen