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Auf der Suche nach sich selbst

Weil Berlin noch immer nicht weiß, was es ist, wurde im letzten Jahr eine Expertenkommission eingesetzt. Nun liegen erste Zwischenergebnisse der „Berlin-Studie“ vor  ■ Von Barbara Junge

Hauptstadt wohin? In den Salons der Stadt wurde in den vergangenen Jahren keine Antwort darauf gefunden. Genausowenig wie in den Amtsstuben der Berlin regierenden SenatorInnen.

Seit letztem Jahr versucht man es deshalb wissenschaftlich. Ein wenig trocken sicher, so ist die Forschung eben. Doch dafür profund. Die „Berlin-Studie“, das von der Europäischen Union und dem Berliner Senat finanzierte Forschungsprojekt zur Analyse der hauptstädtischen Entwicklungschancen im nächsten Jahrtausend, ist am vergangenen Wochenende in die zweite Phase eingetreten.

Auf einem Strategieworkshop haben die Berlin-ForscherInnen gemeinsam mit den politischen PraktikerInnen definiert, was es in Berlin anzupacken gilt, wenn die Hauptstadt eine wirtschaftliche, eine lebenswerte Zukunft haben soll.

Vier noch sehr abstrakt klingende Themenbereiche standen auf dem Workshop im Zentrum der Debatte: „Soziale Kohäsion“, „Metropolenraum im Gleichgewicht“, „Wettbewerbsfähigkeit“ und „Austauschbeziehungen“.

Hinter den Begriffsungetümen verstecken sich recht konkrete Zielvorgaben für die Zukunft der Stadt. Wenn sie aus eigener Kraft wieder aus dem wirtschaftlichen wie sozialen Tief geraten will, dann müssen die Verantwortlichen in der Stadt sich folgendes hinter die Ohren schreiben: Ohne die Integration der Jugend wie der EinwandererInnen, die die Stadt jeweils spezifisch bereichern, hat Berlin auch keine Zukunft.

Diese Integration jedoch erfordert mehr als verbale Aufmerksamkeit, wie sie bislang praktiziert wurde. Sie braucht neben Arbeitsplätzen und Teilnahmechancen an der Gestaltung der Stadt auch reale Räume des Treffens und des Austauschs. Nötig ist die Moderation von Konflikten ebenso wie die Gewähr zumindest relativer Sicherheit auch vor Gewalt. So definiert sich sehr verkürzt gesagt die soziale Kohäsion, der innere Zusammenhalt der Stadt.

Zweitens funktioniert Berlin nur, wenn es sich als Teil der Region begreift, in dem die Stadt bislang isoliert agiert. Umgeben vom Bundesland Brandenburg muß eine gemeinsame Planung ebenso gestärkt werden wie ein Abgleich der innerstädtischen Planung mit der des Umlands. Das Gleichgewicht gilt es jedoch auch innerhalb der Stadt zu halten. Dementsprechend müssen Berlins Regierungsverantwortliche der steigenden Mobilität innerhalb der Stadt verkehrstechnisch und damit verbunden umwelttechnisch Rechnung tragen.

Was unter Wettbwerbsfähigkeit zu verstehen ist, ist nicht ganz so kompliziert. Die Vorschläge, die das Team der Berlin-Studie momentan erarbeitet, richten sich vor allem direkt an die Wirtschaft und weniger an die Politik, die sich in den vergangenen Jahren nicht als befähigt erwiesen hat, der wirtschaftlich katastrophalen Situation der Stadt relevant entgegenzusteuern.

Die Ratschläge, die jetzt schon vorgelegt wurden, sind denn auch nicht überraschend: Eine stärkere Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft wird ebenso angemahnt wie die Unterstützung der wachstumsfähigen, exportorientierten Dienstleistungen. Daneben schreiben die Berlin-ForscherInnen den städtischen PolitikerInnen eine dringende Veränderung der arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien ins Stammbuch. Diese sind, das hatte schon die erste Phase der Berlin-Studie aufgezeigt, ineffektiv und lange nicht so modern wie bislang stets angenommen.

Im Handlungsfeld „Austauschbeziehungen“ schließlich fordert das Berlin-Studien-Team die PolitikerInnen auf, endlich ihre Hausaufgaben zu machen und Berlin als internationalen Treffpunkt zu etablieren.

Als Treffpunkt für Wirtschaft, für Kultur und Politik, für Wissenschaft und Wissen. Insbesondere aber in den Bereichen Kultur und Wissenschaft sehen die ForscherInnen die größten Potentiale, Berlin zu einem Ort der internationalen Begegnung zu machen. Diese Potentiale blieben jedoch – in Zeiten der uninspirierten Kürzungsorgien – vernachlässigt.

Nun sind im Rahmen der Berlin-Studie die Handlungsfelder festgelegt. Dabei jedoch will man nicht stehen bleiben, das Projekt ist dreistufig angelegt. Im nächsten Schritt wird es nun deshalb darum gehen, das, was als Handlungsbedarf definiert wurde, mit konkreten politischen Vorgaben zu füllen. Das sei nicht mehr und nicht weniger, wie es Eberhard von Einem, einer der Leiter der Berlin-Forschungsgruppe, ausgedrückt hat, als „eine Regierungserklärung für Berlin“ abzugeben.

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