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Zum Großeinkauf in den Sozialladen

Im „Sozialladen“ in Friedrichshain werden Lebensmittel noch billiger als bei Aldi und bei Lidl verkauft. Das Angebot in der Kopernikusstraße richtet sich an SozialhilfeempfängerInnen, Arbeitslose und RentnerInnen und wird vom Arbeitsamt durch Personalkosten mitfinanziert  ■ Von Axel Schröder

Es riecht nicht nur frisch renoviert, es sieht auch so aus. Die Wände in dem 20 Quadratmeter großen Raum sind schneeweiß, der Linoleumboden glänzt, und die Neonröhren hängen staubfrei an der Decke. Seit dem 20. Januar gibt es einen Supermarkt der besonderen Art in Friedrichshain. Im „Sozialladen“ in der Kopernikusstraße 9 kann die Kundschaft werktags von 9.00 bis 18.00 Uhr besonders günstig Lebensmittel einkaufen. Die Nachfrage nach den Waren des kleinen Ladens ist enorm.

Kein Wunder, denn mit den Preisen können weder Aldi noch Lidl mithalten. Die Packung Spaghetti kostet 71 Pfenning, Russisch Brot nur 1,11 Mark und das Glas Gurken eine Mark. Eine Frau mit blauem Kopftuch und Krücken kommt an die Kasse. Auf der alten Waage , „Made in Bulgaria“, wiegt der Verkäufer ihre Kartoffeln ab. „Für das Kilo zahle ich hier nur 58 Pfenning. Das ist wirklich nicht viel. Morgen werde ich mit etwas mehr Geld wiederkommen“, sagt sie. Das Sortiment umfaßt alles, was man zum Leben braucht. Brot und Säfte, Käse, Wurst, Marmelade, jede Menge Konserven und mehr. Im Gegensatz zu konventionellen Discountern kann man aber nicht zwischen drei Dutzend verschiedenen Joghurtsorten wählen. „Das einzige, was mir hier fehlt, sind Kosmetikartikel. Seife, Shampoo und Klopapier bekommt man leider nicht“, kritisiert eine Kundin das Angebot des Ladens.

Die Niedrigpreise sind kein vorübergehendes Lockangebot, sondern Kernidee des Sozialladens. Entstanden ist das Geschäft als Projekt des gemeinnützigen „Sozialvereins Friedrichshain“. Der besteht seit 1993 und wird gefördert durch das Arbeitsamt und die Bezirksämter in Mitte und Friedrichshain. Zunächst stellte der Verein eine Sozialküche auf die Beine. In der „Kiezküche“ in der Warschauer Straße 58/59 wird für wenig Geld eine warme Mittagsmahlzeit angeboten. Die Zutaten liefern Großhändler, Bauern und Agrargenossenschaften kostenlos.

Die Dumpingpreise des Ladens sind möglich, weil der Verein weder Personalkosten hat noch einen Gewinn erzielen darf. Die KassiererInnen werden direkt vom Arbeitsamt finanziert. Die günstigen Angebote sind möglich, weil der Verein vom Großhandel Sonderposten einkauft, die, gäbe es die Nachfrage des Ladens nicht, auf die Müllhalde gekarrt werden würden. Sobald das Haltbarkeitsbarkeitsdatum überschritten ist, stellen die großen Supermärkte die Waren nicht mehr in die Regale. Obst mit kleinen Druckstellen ist in ihren Augen nicht mehr verkaufbar. Das sieht die Vorsitzende des Vereins Karla Ritter anders. Sie betont die hohe Qualität der Ladenware.

Um im Sozialladen einkaufen zu dürfen, muß man bestimmte Kriterien erfüllen. In erster Linie richtet sich das Angebot an Menschen, die Arbeitslosengeld oder -hilfe, Rente oder Sozialhilfe beziehen. Und auch die Höhe dieser Einkünfte spielt eine Rolle. Den Ausweis, der zum Einkauf im Sozialladen berechtigt, erhält nur, wer zusätzlich eine Befreiung von der Medikamentenzuzahlung vorlegen kann. Die erhält jeder, der weniger als 1.764 Mark brutto monatlich zur Verfügung hat. Die aufwendige Prüfung der Einkünfte seiner Kunden kann sich der Laden auf diese Weise sparen.

„Studenten haben auch schon nachgefragt, aber es ist ja nicht klar, wieviel Geld jeder einzelne zur Verfügung hat“, sagt Karla Ritter. Bei einem Nachweis über ihre Einkünfte könnte aber auch diese Gruppe einen Ausweis bekommen, versichert sie.

Ein älterer Herr mit Schiffermütze und grauem Vollbart kommt in den Laden und beantragt den Ausweis, der zum Kauf der Lebensmittel berechtigt. Er ist einer von bisher 900 Kunden, die Interesse an dem Ausweis haben. „Pro Tag haben wir ungefähr 20 Anträge. Die Leute müssen mit der Bescheinigung vom Sozial- oder Arbeitsamt zu uns kommen und am nächsten Tag können wir ihnen dann den Ausweis geben“, erklärt der Verkäufer.

Die hohe Nachfrage läßt Karla Ritter schon an die Eröffnung weiterer Sozialläden denken. „Erst mal warten wir natürlich ab, wie der Laden sich entwickelt. Aber Kunden aus Prenzlauer Berg, Weißensee und Mitte fragen immer wieder, warum es nur einen einzigen Laden gibt. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da“, sagt sie.

Ein Mann um die fünfzig steht vor einem Regal und vergleicht die Preise der Konservendosen: „Ich bin seit drei Jahren arbeitslos und finde bestimmt keinen Job mehr. Irgendwie muß man ja über die Runden kommen“, sagt er verbittert. „Der Sozialladen mit seinen Angeboten hilft mir da schon sehr.“

Für große Käufermassen ist der Laden zu klein. Die Kunden stehen an der Tiefkühltruhe Schlange, in der sich Königsberger Klopse und gefrorene Hühnerschenkel stapeln. In der gegenüberliegenden Ecke steht ein kleiner Tisch mit Stühlen, einem Deckchen und zwei gelben Kerzen darauf.

Daneben lagern Kartoffeln und Zwiebeln in Holzkisten. „Die Leute setzen sich gerne zum Durchschnaufen hin. Und Stammkunden bekommen manchmal auch eine Tasse Kaffee dazu“, erklärt der Verkäufer. Die meisten Kunden seien begeistert von dem Angebot des Ladens, „aber natürlich gibt es immer welche, die meckern. Klar gibt es bei ALDI auch mal was billiger als bei uns, aber im großen und ganzen sind wir schon günstiger“, sagt er.

Schon wieder geht die Tür auf. Ein Mann hat seinen Rucksack geschultert, seine Frau zieht eine stattliche Einkaufstasche auf zwei Rädern in den Laden. Seit drei Wochen findet der Großeinkauf für die Familie in der Kopernikusstraße statt. Daß mit der Einrichtung von Sozialläden ein „Zweiklasseneinkauf“ entstehen könnte, findet das Paar nicht bedenklich. „Einfach super“ finden sie den Laden. „Wir kommen mit der Bahn aus Reinickendorf hierher und kaufen gleich einen ganzen Schwung ein.“ Die Frau stellt noch sieben Schoko- Weihnachtsmänner auf den Tresen, das Stück für 29 Pfennig. „Wenn ich hier einkaufe, dann bekomme ich wenigstens noch was für mein Geld.“ Ihre Kinder müssen auf die Schokolade nicht bis zum nächsten Weihnachtsfest warten. „Da machen wir einfach Osterhasen draus – fertig“.

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