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Musik für Sonnenblumenträger

■ Die Vorschau: Am Freitag bringen Ska-Bands aus Hamburg, Amsterdam, Long Is-land/USA und sogar vom Niederrhein den Schlachthof zum etwas schnelleren Schunkeln

Möglicherweise hörte ein findiger Gitarrist eine Reggae-Schallplatte, die aus Versehen mit 45 Umdrehungen abgespielt wurde. Vielleicht rief er danach seinen Freund, den Trompeter, an und beschloß, eine Band zu gründen. So könnte es gewesen sein...

Zwar wird man mit Sicherheit nie erfahren, wie sich aus der gemütlichsten Kiffermusik der Welt der hektische Ska entwickelte – eine Musikrichtung, die vom penetranten Two-Tone-Beat, einer rasanten Übersteigerung des Reggae-Off-Beat lebt. Der Ursprung dieser Musik für aufgeregte, meist in schwarz-weiß gekleidete Hut- und Sonnenbrillenträger ist unklar. Fest steht aber: Die Jungs von der Ska-Band Mr. Review sind schon so lange in der Ska-Szene dabei, daß sie mit Fug und Recht solche Geschichten in die Welt setzen können, ohne daß irgendwer behaupten könnte, daß er es besser weiß.

Irgendwann, irgendwie kamen Anfang der 80er der Gitarrist Arne Visser und der Schlagzeuger Roel Ording in Amsterdam zum Ska. Bei einem nächtlichen Streifzug trafen die beiden auf einen merkwürdigen Vogel, der sich Docta Rude nannte, vorzugsweise im Schottenrock umher turnte und ebenfalls eindeutig vom Two-Tone-Virus befallen war. Dieser Ska-Akademiker wurde flugs als Frontmann verpflichtet, und so erblickten Mr. Review 1983 das Licht der Welt. Sechs Jahre dauerte es, bis die Band vor lauter Touren und Konzerten dazu kam, mal eine eigene Platte aufzunehmen. Das '89er Album „Walking Down Brentfort Road“ war vom Titel her eine Verbeugung an die Straße in Kingston, Jamaica, in der das legendäre Aufnahmestudio „Studio One“ stand – ein Wallfahrtsort für alle Reggae-Verrückten.

In den Folgejahren verfeinerten Mr. Review ihr Erfolgsrezept: ein harmonischer, für Ska-Bands ungewöhnlich variantenreicher Gitarren-Grundbeat, auf dem eine fette Bläserbatterie schlaue, poppige Arrangements mit Leben füllt. In einigen großen Momenten erreichen die neun Musiker von Mr. Review einen Mix aus Eingängigem und Vielschichtigem, der an Madness erinnert oder an das Protestpunk-Songwritertum von The Clash.

Das Resultat: Kaum eine Gitarrenmusik taugt derzeit so sehr zum Feiern wie das hypnotisch-penetrante Two-Tone-Gewurstel von Mr. Review. Einziger Nachteil: Wo im Ska-Bereich gefeiert wird, feiern auch gerne Spacken, ja sogar Nazis mit. Auch in dieser Hinsicht sind Mr. Review ungewöhnlich. Die Holländer werden weltweit wegen ihrer konsequent politschen Haltung anerkannt. Texte gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz (“The Street where I'm living“ oder „Prejudice“) gehören bei Mr. Review nicht aus Pflichtgefühl zum guten Ton, sondern aus Überzeugung. In Bremen geben die bislang dauer-tourenden Holländer ihr letztes Konzert für dieses Jahr.

Auch die Hamburger Ska-Brüder Rantanplan gehören zu den schlaueren Vertretern dieser betont unpolitischen und oftmals auf dem rechte Augen blinden Musikrichtung. Die Band ist ein Seitenprojekt von „...But Alive“. Von der Ostküste der Vereinigten Staaten, aus Long Island, kommen eigens sieben Spezialisten für hymnischen Ska – die Band Ethna's Goldfish – eingeflogen. Vom Niederrhein kommen die „Bovver Boys“ zu diesem weltweiten Stelldichein der Two-Tone-Szene.

Lars „Eigentlich hasse ich ja Ska“ Reppesgaard

Mr. Review, Rantanplan, Edna's Goldfish und die Bovver Boys spielen am Freitag bei der 24. „Boots Night“ im Schlachthof ab 20 Uhr

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