: Blue-Note im Elektronik-Spülgang
Für die einen sind Paloma die Jazzer, die unorthodoxe Tanzmusik machen, für die anderen sind sie das Berliner Dance-Projekt mit dem Jazz-Hintergrund. Drum & Basser sind sie nicht, das einzige, was Drum & Bass ist, ist die Besetzung. Ein Porträt ■ von Andreas Hartmann
Die Feststellung, daß der Jazz nicht tot ist, sondern bloß ein wenig vor sich hin mufft, hatte Frank Zappa einmal in ein vielzitiertes Bonmot gepackt. Hätte sich nicht die elektronische Tanzmusik des Stinkers angenommen, könnte man dem auch heute noch ohne weiteres zustimmen. Aber seit mit Acid Jazz Anfang der neunziger Jahre das Recyceln von Bebop, Hammond-Jazz und Brasil-Flavour integraler Bestandteil hipper Elektronik wurde, grasen DJs die Flohmärkte wieder nach raren Jazzplatten ab, und Jazzhörer dürfen sich wieder zur Geschmacks- Oberschicht zählen. Keine Trip- Hop-Platte ohne Jazzsample, Drum & Bass ist erst dann cool, wenn er nach Miles Davis in seiner Jazzrockphase klingt, und im derzeit superangesagten Berliner DJ- Kollektiv Jazzanova wurde die Lieblingsmusik sogar in den Projektnamen gemeißelt.
Paloma, die vor einiger Zeit in Berlin Auftrittsabos in allen möglichen Clubs dieser Stadt hatten und sich in letzter Zeit etwas rarer gemacht haben, setzen der Wiedergeburt des Jazz im Paradigma Dancemusic noch eine Pointe drauf. Zu einem jazzigen Rare- Groove-DJ-Set kann man zwar gut tanzen, aber die Aura eines Live- Konzerts hat eben doch ganz andere Qualitäten. Paloma setzen als eine Art Umkehrschluß der Synthetisierung von Jazz in tanzbarer Elektronik auf handgemachten Drum&Bass: Der eine des Duos, Hanno Leichtmann, übernimmt mit seinem Schlagzeug den Drum- Part, Johannes Strobl generiert Basslines auf seinem E-Baß. Das Ergebnis ist jazziger Drum & Bass, zu dem man tanzen kann, bei dem allerdings auch Freunde der Jam- Session befriedigt den Schweiß auf der Musikerstirn erkennen können.
Nachdem Paloma in der letzten Zeit so ziemlich alles gemacht haben, um ihr Projekt publik zu machen, exzessives Touren, Auftritt auf der Ars Electronica mit Kruder & Dorfmeister und sogar Vorband für Berlins Obergruftis Die Einstürzenden Neubauten, zu denen Leichtmann lakonisch meint: „Die machen ihr Ding, wir unseres“, gibt's jetzt endlich eine Paloma-12- Inch auf dem kleinen Kölner Dance-Label Mehrwert.
Für die einen sind Paloma die Jazzer, die unorthodoxe Tanzmusik machen, für die anderen das Dance-Projekt mit dem Irgendwie-Jazz-Hintergrund. Als letzteres wird die „Projections EP“, eine Hommage an den Space-Jazzer Sun Ra, nun von der Plattenfirma angepriesen und mit dem Stempel „natürlich live eingespielt“ versehen.
Beide Paloma-Jungs haben an der Akademie die Instrumentbeherrschung gepaukt. Vor allem Hanno Leichtmann hat neben Paloma noch ein paar experimentelle Freeform-Projekte am Laufen: No Doctor, deren explosive Noise- Eskapaden auf dem kleinen Algen-Label von Volker Schneemann erschienen ist, der mit dem inzwischen leider verblichenen Anorak der halben Berliner Experimentalszene ein Zuhause geschenkt hatte. Ich Schwitze Nie, bei dem Deutschlands hoffnungsvollster Schauspieler, Lars Rudolph, demnächst zu sehen in „Die Siebtelbauern“, in die Trompete bläst. Und Dawn, ein Projekt aus der Schnittmenge Paloma und Rupert Huber, dem Wiener Szene- Darling, der mit Richard Dorfmeister die Wohnzimmer-Trip-Hop- Formation Tosca bildet. Von improvisiertem Krach über Schunkeljazz bis hin zu elektroakustischen Experimental-Meditationen ist da alles dabei.
Bei Paloma lösen sich beide Musiker weitestgehend vom wichtigsten Impulsgeber des Jazz. „Die Anflüge improvisierter Musik sind minimal. Eigentlich machen wir Clubmusik“, stellt Leichtmann klar. Die Tracks haben festgelegte Strukturen, alles andere würde in einer derart rhythmisch-zentrierten Musik bloß zum üblichen Jazzrock-Gedaddel führen. Eine Falle, der Paloma möglichst ausweichen wollen.
„Wir machen keinen Drum & Bass. Das einzige, was bei uns Drum & Bass ist, ist die Besetzung. Jemand, der echt Drum & Bass am Rechner programmiert und sich Paloma das erste Mal anhört, würde das nicht als als Drum & Bass bezeichnen.“ In Strobls Selbsteinschätzung wird die Forderung spürbar: Bitte jetzt keine Schublade finden wollen, bitte kein Klischee zücken. Die Arbeit von Paloma ist geprägt von der Suche nach dem Eigenen, die ein Irgendwo-Ankommen erst mal nicht zuläßt. Strobl macht mit Leichtmann Dazwischen-Musik, die versucht, „die ganzen Strömungen, die es gibt, zu verarbeiten. Das ist für mich als Musiker auch total naheliegend. Was will man denn sonst machen?“
Eine Frage, die auch bei Dawn gestellt wird. Deren erste CD ist gerade beim kleinen, feinen Berliner Label No Means Land erschienen. Ein Konzertmitschnitt aus der Akademie der Künste. Also auch live eingespielt.
Dawn – Dawn (NoMansLand/99), Paloma – Projections e.p. (Mehrwert/Groove Attack) Record-Release von Dawn am 26.2. im Maria am Ostbahnhof
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