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Multi-Kulti Modell Bremen

■ Einzigartige Initiative: Muslime sprechen sich für den Frieden zwischen Kurden und Türken aus / Im Rathaus verabschiedeten sie eine Erklärung, die in den Moscheen bekannt gemacht wird

Wahrlich, der Mensch ist im Zustand des Verlustes – außer denen, die glauben, die gute Werke tun und die einander zu Recht und Gerechtigkeit und zu Geduld und Ausdauer mahnen.Mit dieser Sure Al-'Asr aus dem Koran beendete der Hodja der kurdischen Scheich Scherif Moschee am Donnerstag im Bremer Rathaus einen denkwürdigen Abend. Kurz zuvor hatten rund 40 Vertreter fast aller Moscheen und muslimischen Vereine Bremens einen gemeinsamen Aufruf gegen Gewalt verabschiedet. „Islam – das bedeutet Frieden“, lautet einer der zentralen Sätze. Die Erklärung soll ab heute bekannt gemacht werden, ob direkt beim Freitagsgebet oder am Rande, – „um politische Mißverständnisse zu vermeiden“ – ist vielerorts noch offen.

Anlaß für diese in Deutschland einzigartige Initiative zur Vermittlung zwischen Kurden und Türken waren zunehmende Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen nach der Gefangennahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan vor knapp zwei Wochen. Seit in Bremen kürzlich drei türkische Reisebüros angezündet wurden, seit wenige Tage später drei andere Einrichtungen, darunter ein Imbiß und ein türkischer Vereinsraum, das Ziel von Attacken geworden war, ist die Atmosphäre sehr gereizt. In den Moscheen, wo sich Kurden und Türken bislang meist mischen, beobachtete man alarmiert: „Die Kurden bleiben weg.“ Die Stimmungsmache insbesondere der türkischen Medien zeige Wirkung, vermuteten viele. Die Bilder von einem erniedrigten Kurdenführer Öcalan im türkischen Fernsehen verletze die Kurden. „Sie wollen sich dem nicht aussetzen und Konflikte vermeiden“, heißt es. Auch gegen Isolierung und Ausgrenzung wollten Bremens Muslime ein Zeichen setzen. Für Vermittlung wandten sie sich ans Bremer Rathaus. Dort wurde ihre Initiative aufgenommen. Die Begrüßungsworte zum Treffen am Donnerstag sprach Bürgermeister Henning Scherf.

Eine Vorbildfunktion übernimmt derzeit Mustafa Karabacak. Der ehemalige Betriebsrat von Klöckner, zugleich Vorsitzender der Mevlana-Moschee, einer türkisch orientierten Moschee, hat zur Gewaltfreiheit aufgerufen. Das beeindruckt viele Menschen – denn sein Reisebüro war bei dem Brandanschlag völlig ausgebrannt.

Nur eine Gruppierung war dem Treffen ferngeblieben: Die Vertreter der Moscheen, die sich dem „orthodox“ ausgerichteten Islamischen Kulturzentrum zurechnen. Zur Begründung erklärte der Vorsteher der Moschee am Schwarzen Meer, Albattin Yirken, gegenüber der taz: „Wir sind eine religiöse Gemeinde. Das Kurdenproblem ist politisch.“ Beobachter dagegen halten die islamisch-nationalistische Ausrichtung der Gruppe für den wahren Grund – und bedauern doch, daß sie nicht kam. Der Aufruf kompromittziere niemanden – zumal der einzige Streit über eine Formulierung mit Diplomatie beigelegt worden war. Im ersten Entwurf der Erklärung war noch von einer „Verhaftung“ Öcalans die Rede gewesen. Dagegen hatten Kurden erfolgreich protestiert: Ein rechtstaatliches Verfahren dürfe man mit der Entführung Öcalans aus Kenia nicht assoziieren. ede

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