: An Symptomen kuriert
Nicht der Wegzug der Mittelschichten ist in Quartieren wie Kreuzberg oder Wedding das Problem, sondern die zunehmende Armut ■ Von Uwe Rada
Liest man die einleitenden Worte zum Thema soziale Stadtentwicklung im Kongreßprogramm, so gerät man etwas ins Staunen. Viele der Begriffe, die da zur Beschreibung des Berliner Ist- Zustandes verwendet werden, waren von der gleichen SPD, die sie nun verwendet, noch vor ein paar Jahren als Unkenrufe einiger unverbesserlicher Kritiker oder vom amerikanischen Diskurs geblendeter Stadtsoziologen abgetan worden. Heute nun nimmt auch Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, der noch vor zwei Jahren alleine den neuen Stadtbürger und Urbaniten im Visier hatte, Worte wie sozialräumliche Segregation oder Exklusion in den Mund.
So erfreulich allerdings die Bereitschaft der Politik ist, die Augen vor den neuen Grenzziehungen in Berlin, und das sind sowohl wirtschaftliche, soziale als auch räumliche und kulturelle Grenzziehungen, nicht mehr zu verschließen, so ambivalent bleiben die politischen Lösungsversuche. Zwar hat die SPD der Forderung nach einer sozialen Stadtentwicklung mittlerweile höchste politische Priorität verliehen. In der konkreten Umsetzung, beziehungsweise der stadtpolitischen Debatte, wird diese Forderung aber allzuleicht auf die griffige Formel des Quartiersmanagements reduziert. Kein Wunder also, wenn manche Kritiker meinen, daß es sich dabei nur um ein medial inszeniertes Beruhigungsmittel handelt, daß man lediglich an Symptomen kuriert, weil man es längst aufgegeben hat, an den Ursachen der so klug analysierten Entwicklung zu rütteln.
Was wäre also aus der Sicht eines Kritikers eine soziale Stadtentwicklung, die diesen Namen verdiente? Zunächst einmal ist das eine Frage des Adressaten. Um wen geht es eigentlich im Quartier? Wer soll unterstützt, wessen Ressourcen sollen gestärkt, wer soll ermuntert werden, sich für das Quartier einzusetzen?
In jüngster Zeit war vor allem die Diskussion um den Boxhagener Platz in Friedrichshain, eines von fünf Ostberliner Verdachtsgebieten für das Abkippen zum problembehafteten Gebiet, wie es im Gutachten von Häußermann heißt, von Interesse. Von Interesse deshalb, weil sich hier exemplarisch ein Konflikt zeigte, der der ganzen Debatte um soziale Stadtentwicklung, respektive Quartiersmanagement zu eigen ist. Während, verkürzt gesagt, Peter Strieder das Problem des Quartiers als Wanderungsproblem definiert, bei dem die wegziehenden einkommensstarken Bevölkerungsschichten neben dem ökonomischen Abstieg des Gebiets zugleich eine Verringerung der sozialen Verantwortung zur Folge haben, sehen andere im Zusammenhang mit dem Boxhagener Platz vor allem ein Armutsproblem.
Dieser Unterschied ist insofern von Bedeutung, als sich daraus auch unterschiedliche Handlungsperspektiven ableiten. Während für Strieder vor allem Maßnahmen in den Vordergrund rücken, mit denen den einkommensstarken Schichten ein Anreiz zum Bleiben geschafen werden soll, etwa durch Eigentumsbildung, fordern andere, die Situation der vorhandenen Armutsbevölkerung zu verbessern. Dieser Konflikt mag solange nicht ausbrechen, solange sich die Handlungsoptionen beider Lager nicht gegenseitig ausschließen. Am Boxhagener Platz freilich stand im vergangenen Herbst die Einrichtung des Quartiersmanagements in konkretem Gegensatz zu der vom Bezirk und den Betroffenen geforderten Festlegung einer Milieuschutzverordnung. Diese wurde aber lange Zeit von Strieder mit der Begründung abgelehnt, daß sie die nötigen Investitionen hemme.
Um wen also geht es bei der sozialen Stadtentwicklung? Die Annahme, die Herausbildung benachteiligter Stadtquartiere sei ein Wanderungsproblem, hervorgerufen durch die Abwanderung der Mittelschichten ins Umland oder an den Stadtrand, ist meines Erachtens zu kurz gegriffen. Sie basiert nicht nur auf dem Gedanken eines Idealtyps sozialer Mischung in den Gebieten, die es, auch in der gemischtesten Stadt Deutschlands, in Berlin, nie gegeben hat. Sie ist auch eine überaus statische Annahme, die die Verarmung der Berliner Bevölkerung insgesamt überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint. Die Verteilung von Reichtum und Armut ist deshalb keine Größe, die man am grünen Senatstisch mal hier mal da neu zusammensetzen oder managen könnte. So viele einkommensstärkere Schichten, die man bräuchte, um alle Problemquartiere im Striederschen Sinne sozial zu mischen, gibt es gar nicht. Und sie gibt es, allem Zuzug aus Bonn zum Trotz, in Zukunft immer weniger.
Das Hauptproblem, an dem auch die soziale Stadtentwicklung ansetzen müßte, ist demnach die Armut. Und zwar nicht nur als Zuwanderungsarmut, sondern auch, wie die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge Reyer nicht müde wird zu betonen, als Binnenverarmung. Gleichzeitig ist in vielen Stadtteilen, in denen sich Armut konzentriert, eine noch immer steigende Mietentwicklung zu beobachten. In Kreuzberg So36, so hat erst vor kurzem eine Studie von Topos ergeben, ziehen weniger die Besserverdienenden weg als jene, die woanders noch hoffen, eine weniger teure Wohnung zu bekommen. Ohne eine effektive Mietenpolitik ist eine soziale Stadtentwicklung deshalb zum Scheitern verurteilt. Das betrifft auch die Verantwortung für das Quartier, die derzeit so groß geschrieben wird. Wie bitte soll ein Bewohner eines Quartiers, der lieber heute als morgen in eine billigere Wohnung ziehen will, Wurzeln schlagen. Und ist es nicht auch verständlich, daß diejenigen, die nicht wegziehen können, sich im Quartier manchmal wie in einer Zwangslage befinden und sich auch entsprechend verhalten. Oder was ist mit denen, die vom Sozialamt per Kostenübernahme die Wohnung bekommen, weil der soziale Wohnungsbau seinen Namen schon lange nicht mehr verdient? Wie soll hier ein positiver Bezug auf das Quartier entwickelt werden, der über einen Neuanstrich der Parkbänke hinausgeht. Integration, das also, für das die europäische Stadt in der Vergangenheit immer wieder gelobt wurde, bedeutet mehr als Beruhigung. Integration bedeutet auch die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Reichtum teilzuhaben.
Dennoch sind viele Ansätze, die derzeit diskutiert werden, richtig. Die Vernetzung der vorhandenen Initiativen, die querschnittsbezogene Zusammenarbeit der Akteure des lokalen Staats, der Versuch, Stadtentwicklung mit beschäftigungspolitischen Maßnahmen zu verbinden, weisen in die richtige Richtung. Und natürlich können Senatsverwaltungen und Bezirksämter nicht die Probleme lösen, die von einer zunehmenden Spaltung des Arbeitsmarktes hervorgerufen werden. Sie müssen aber aufpassen, daß sie diese Probleme nicht noch verschärfen, indem sie den Blick einseitig auf die richten, deren Problem einzig darin besteht, den stigmatisierten Problemquartieren so schnell wie möglich den Rücken zu kehren.
Beitrag zum stadtpolitischen Kongreß der SPD „Berlin 2010“
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