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Neofolkmusik ganz ohne Neo

■ Dave Schramm und Jeb Loy Nichols träumten im Moments solistisch vor sich hin

Wahrscheinlich gibt es auf dieser Erde 176 exquisite Folk-Aktivisten. Wenn zwei Exemplare davon auf Einladung Radio Bremens im Moments auftreten, so ist das erfreulich, aber nicht erstaunlich. Warum also darüber schreiben? Ach, Sie kennen Dave Schramm und Jeb Loy Nichols? Dann dürfte Ihr Interesse an schalen Worten sowieso begrenzt sein. Oh, Sie kennen die beiden nicht? Nun ja, ein Text über eine zwar erfreuliche, aber nicht erstaunliche Unbekanntheit lohnt noch viel weniger zu lesen. Die Existenz von Musikrezensionen läßt sich also bis auf ganz wenige Ausnahmen nur durch einen einzigen Grund rechtfertigen: Sie werden verfaßt, damit geizige beziehungsweise mittellose JournalistInnen eine Gratis-Eintrittskarte abstauben können. Außerdem ist es ressourcenschonender, über Konzerte zu schreiben als über dicke Bücher. Die Karte bzw die Rezensions-CD ist gewissermaßen die ökonomische Basis, der Text der daraus abgeleitete Überbau. Nach wie vor lassen sich gesellschaftliche Phänomene (wie etwa die gehäufte Existenz von mühsam auf originell getrimmten Texten über die immer gleiche Folk/Rock/Jazzgaudi) perfekt mit Karl Marx erklären. (Diese nicht oft genug zu wiederholende WAHRHEIT ist denn auch die tiefere Legitimation für diesen vielleicht etwas schrulligen Text.)

Nun also doch noch zum Überbau, zum Konzert: Nach seinem ersten Lied orderte Dave Schramm: „Bitte (Folkmusiker im allgemeinen, Schramm und Nichols im besonderen glänzen durch Höflichkeit und fast demonstrative, danksagungswütige Bescheidenheit) die Gitarre lauter.“ Nicht, daß er auf satten Gitarrenklang stehen würde. Das zu allerletzt. Schramm wollte lediglich noch feenhändiger über seine Saiten huschen. Er sucht nicht nur immer wieder nach größtmöglicher rhythmisch-harmonisch-melodischer Einfachheit, sondern auch nach der Grenze zur Unhörbarkeit. Isoliert man ihn und Nichols von ihren legendären Gruppen (hier Yo La Tengo, dB's, Replacement und The Schramms, dort die Fellow Travellers) dann werden sie vollends zu Innerlichkeitskünstlern. Diese Stille war es, die Ende der 80er Jahre Fans von Sonic Youth, den Pixies, Hüsker Dü und anderen außergewöhnlichen Lärmdesignern scharenweise magisch anzog. Die höchst verdächtige Vorliebe rechtfertigte man damals noch durch das Wörtchen „Neo“ vor dem „Folk“; was bei einem zeitlupigen Townes van Zandt oder bei Yo La Tengo noch legitim war, bei Schramm und Nichols aber nicht mehr geht, da sie auf alle Gesten des Selbstreferenziellen, Stilbrechenden, Ironisierten verzichten. Die alten Geschichten von den seelenvollen Frauen, die unter ihren chipsfressenden, groben Männern leiden, stehen wieder im Zentrum. Oldfashioned Folk also. Aber seit man Johnny Cash lieben darf, geht auch das.

Natürlich trägt Schramm Brille; und den Bund seiner Jeans nicht in der Taile, sondern auf einem dezenten Speckring. Mal stellt er sein Evian-Wasser wie ein Whiskyglas ab – Klack. Er zuckt zusammen: „Sorry.“ Ein Macho ist das letzte, was er sein möchte. Auch Nichols nicht. Knie und Füße kleben meist wie bei einer Internatsschülerin zusammen. Kommt einer auf die Bühne, um den anderen zu unterstützen, sieht er ihn erst einmal versonnen bewundernd an, ehe er – fast unhörbar – die eigenen Töne ins andere hineinwebt. Das ganze Abenteuer liegt hier in den Modulationen der Stimme. Die sind nicht bekennerhaft jaulend wie bei Julia Roberts Ex-Mann Lyle Lovett, sondern von vornehmer Zurückhaltung, bei Schramm eher unterkühlt, bei Nichols eher warm. Diese beiden würden sich niemals Eintrittskarten erschnorren. bk

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