Es stinkt unterm Flokatiteppich

■ Die Eltern verdrängen, verraten und lügen, die Kinder müssen drunter leiden: „Marie“, ein Stück für Menschen ab 15, am Grips Theater

Was kann man nicht alles unter den Teppich kehren? Staubflocken, Orangenschalen und Zigarettenstummel, aber auch versteckte Gefühle und ungelöste Konflikte. Was passiert, wenn so was jahrelang vor sich hin schimmelt, zeigt am Grips Theater die Regisseurin und Theaterwissenschaftlerin Ulla Theißen mit ihrer Inszenierung „Marie“, einem Theaterstück für „Menschen ab 15“.

Genau diese 15 Jahre ist auch Marie (Regine Seidler) alt. Sie ist gerade von der Schule geflogen, weder ihre Mutter (Michaela Hanser) noch deren Lebensgefährte Torsten (Jörg Westphal) kommen mit ihr klar. Die Kommunikation der drei ist nicht viel mehr als ein Austausch von Ausflüchten und Vorwürfen. Soweit die Ausgangssituation. Als es am Weihnachtsabend plötzlich an der Tür klingelt und nicht der Weihnachtsmann, sondern Maries leiblicher Vater (Christian Veit), den sie bis zu diesem Tage nie kennengelernt hat, vor der Tür steht, beginnen turbulente Auseinandersetzungen. Versteckte Emotionen geraten endlich ans Tageslicht – und der übelriechende Teppich wird gelüftet.

Mit aller Macht und offensichtlichsten Tricks versuchen die Erwachsenen zuerst, das unangenehme Thema zu vermeiden, von der unglücklichen Beziehungsgeschichte von Maries Vater und Mutter abzulenken. Vor allem der unbedarfte Lebensgefährte Torsten tut sich da groß hervor: Hektisch bemüht er sich um Harmonie, versucht dem schiefen Weihnachtsbaum die Balance zurückzugeben, saugt immer wieder den Flokatiteppich, wendet sich aber doch bald der Wodkaflasche zu. Er sorgt für den Slapstickhumor der für das Grips Theater ansonsten eher ruhigen und ernsten Inszenierung.

Maries Mutter dagegen wird durch die Anwesenheit ihres Ex- Liebhabers mehr und mehr aus der Bahn geworfen wird. Und Marie? Sie wühlt mit den Fingern in den Wunden der Erwachsenen, drängt auf schonungslose Aufklärung. Marie ist das Zentrum dieser Inszenierung, die auf einer Romanvorlage des schwedischen Jugendbuchautors Mats Wahl basiert. Sie ist der eigentliche Motor der Handlung, um ihre Suche nach Identität geht es. Regine Seidler stattet die Figur der Marie mit einer Portion trotziger Coolness aus. Selbst wenn sie wütend ist, sieht sie noch niedlich aus und sorgt dafür, daß die Geschichte nicht in ein großes Fest der Betroffenheit ausartet. Doch auch Thorsten bemüht sich: „Ratet mal, was ich euch zu Weihnachten schenke? Es ist hier, man kann es aber nicht sehen“, fragt er zu Beginn. Daß es sich nicht nur um die bezahlte Telefonrechnung handelt, sondern auch um die Liebe, macht er damit nur allzu deutlich.

Am Ende liegt alles offen dar, der Flokatiteppich ist im gemeinsamen Freudentaumel von der Bühne geräumt, Kommunikation scheint wieder möglich, und alles wird gut. Im Grips Theater wird aus Weihnachten selbst im Februar noch ein Fest der Liebe. Anke Wülpern

„Marie“: Grips Theater, Schiller Werkstatt, Bismarckstr. 110, Charlottenburg. Am 2. und 3.3. sowie 30. und 31.3. um 11 Uhr, 4. und 28.3. um 19.30 Uhr