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Eine Liebe nach dem Rausch

Der Hamburger SV war für die linke Subkultur immer alles andere als hip. Und jetzt ist auch noch die Westkurve tot. Aber die Indie-Musiker von Hrubesch Youth harren aus  ■ Von Martin Sonnleitner

Hamburg (taz) – Wenn Carsten Friedrichs den Blick auf den Rasen richtet und darüber redet, wie alles war, bekommt seine Stimme diesen besonderen Klang. „Wir haben 90 Minuten geschrien – und dann dieses ganze Schwarzweißblau in der Kurve“, sagt er dann zum Beispiel, „das war ein herrlicher Rausch, man verlor jegliche Distanz.“ Ja, so war das im Volksparkstadion, Anfang der 80er, als der Hamburger SV seine Glanzzeit hatte. Was Friedrichs und die Brüder Bernd und Franko Kroschewski in dieser Zeit in der Westkurve erlebten und auf eine Weise auch mit ihr, sei „wie eine Liebesbeziehung“ gewesen.

Es war einmal.

Dort, von wo aus in fünf Jahren 55 Bundesligtore von Horst Hrubesch bejubelt wurden, wüteten während der Winterpause die Bagger. Die Westkurve mußte der neuen Fußballarena weichen, die Stehplätze den üblichen Plastikschalen. Wenn man jetzt da steht, wo sie war, und verbindet etwas damit, geht es einem unwillkürlich ein bißchen wie Hrubesch. Man schaut. Und dann sagt man: „Das war unsere Kurve“. Hrubesch denkt natürlich gern an seine Zeit beim HSV zurück; es war seine erfolgreichste. Dreimal wurde er mit dem HSV Meister. „Wir haben uns nach jedem Heimspiel bei den treuen Fans in der Westkurve bedankt.“ Aber irgendwann faßt man sich wieder. Und dann sagt man: „Der Umbau ist traurig, aber ein Zeichen der Zeit.“

Was die treuen Fans angeht, so erlebten sie den sportlichen Abstieg ihres Lieblingsvereins ganz allmählich. 1987 kamen noch Vizemeisterschaft und Pokalgewinn. Den ersten richtigen Schock erlebte Bernd Kroschewski (29) eine Saison später, beim 0:4 seines HSV zu Hause gegen den Karlsruher SC. „Mladen Pralija, ein entsetzlicher Torhüter, machte sich zum Kasper der Liga“, sagt er, und der KSC sei doch damals auch eine richtig graue Maus gewesen. Da echauffiert er sich noch heute richtig. Zum sportlichen Abstieg hinzu kam, daß sich die politisch linksgerichteten Jungfans im Stadion nicht mehr wohl fühlten, da die Westkurve zunehmend von Hooligans und rechtslastigen Menschen frequentiert wurde.

„Ich bin nicht für oder gegen das Umfeld, sondern für oder gegen die Mannschaft, die da unten spielt“, sagt Bernd Kroschewski, der seit Ende der 70er „HSVer“ ist und alle HSV-Klischees sprengt. Er und sein Bruder Franko haben sich in der eher autonom organisierten Hamburger Musikszene einen Namen gemacht. Und wer im Hamburger Musik-Underground rumlungert, ist gemeinhin links und Anhänger des FC St. Pauli. Als HSVer traten die Punk-, Indie- und Krachmusikfans Kroschewski & Kroschewski daher sonderbar in Erscheinung. „1977 war ich das erste Mal im Stadion“, erinnert sich Franko Kroschewski, „2:0 gegen Schalke, Tore von Bertl und Keller. Ich bin damals schon früh ins Bett gegangen, wenn die verloren haben.“

Seit 1980 haben die Kroschewski-Brüder eine Dauerkarte und verpassen kein Heimspiel. Der Block D wurde ihr Treffpunkt, einen Block entfernt vom eher berüchtigten Block E. Mit von der Partie ist Carsten Friedrichs (27). Auch er hat das mit geprägt, was irgendwann einmal als Hamburger Schule tituliert wurde. Gegenwärtig rührt er für sein neues Projekt „Superpunk“ Songs wie „Eric Cantona“ ins Mikrofon.

Friedrichs war zwischen 1986 und 1990 „wegen der merkwürdigen Szene“ nicht ins Stadion gegangen. Dann lernte er die Kroschewskis über die Hamburger Fanzine-Szene kennen. Es ging um Musik, Fußball und Kunst. „Ich war froh, daß es auch solche HSV- Fans gab“, sagt er. So entstand im Block D eine subkulturelle HSV- Fangemeinde, und es verwundert kaum, daß die Kroschewski-Brüder ihre Musikband „Hrubesch- Youth“ tauften. Heute leiten die Kroschewskis das auf Krachmusik spezialisierte Plattenlabel „Fidel Bastro“. Auch hier geht es um die Passion, wie beim Spiel mit der Lederpille. „Fußball ist eine rational nicht zu erklärende Leidenschaft“, sagt Friedrichs, „es ist wie ein Virus.“ Hauptberuflich befaßt er sich mit Steuerberatung, Klärwerk- und Laborbedarf.

Den Hauptgrund für den Sturz ins Mittelmaß sieht das Trio in der Geschäftspolitik während der erfolgreichen Jahre. Wolfgang Kein und Günter Netzer, damals Präsident und Manager, hätten hervorragend eingekauft, sich aber kaum um den Nachwuchs gekümmert.

Damals sei Geld und positive Stimmung dagewesen, um ein Fußball-Internat in der Stadt zu etablieren.

Heute? Im Moment ist man neunter. Manchmal achter. Dann auch wieder zwölfter. Aber weggehen ist nicht. „Gerade wenn man in Hamburg Undergroundmusiker ist, ist man als HSV-Fan ein Außenseiter. In der Rolle fühle ich mich wohl“, sagt Friedrichs. Das heißt nicht, daß er sich nicht einen politischen Linksruck der HSV- Anhänger gewünscht hätte, wie er sich beim FC St. Pauli vollzog. Für Franko Kroschewski sind ehemalige HSV-Anhänger, die in den 80ern aus politischer Überzeugung überliefen, sogar schlicht „keine richtigen Fans“. Schließlich sei Fußball „keine politische Willensbekundung“.

Daß der Tod der Westkurve „für die Gesamtentwicklung im deutschen Fußball“ steht, ist Franko Kroscheweski klar: „Uns steht eine Bevölkerung der Yuppies in den Stadien bevor.“ Weil die es komfortabel lieben, muß auch er künftig die Spiele seiner Mannschaft von einem schnöden Plastikstuhl aus beäugen. Das ist hart.

Aber noch härter ist, wenn der HSV verliert. Dann muß er ins Bett. Nach wie vor.

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