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Wenn Mäuse Katzen fressen

■ Reden und fragen: Kinder sprechen über die Trennung ihrer Eltern in einer einzigartigen Arbeitsgruppe in der Bremer Grundschule an der Lessingstraße

Schon wieder hat der Hund in die Wohnung gepinkelt. Da gab's Stunk mit Mama. „Das war scheußlich“, sagt die neunjährige Yasmina. Die anderen Kinder am Tisch – ebenso kundige Hunde- und Katzenbesitzer – gucken sie verständig an. „Beschissen“ war's deshalb letzte Woche zuhause. Ihrem Tischnachbarn Simon ging's nicht viel anders: Der hatte „Streß“ mit seiner Mutter, weil „ich meiner Schwester die Gummistiefel nicht richtig angezogen hab–“.

Gefühlsmäßige Bilanz einer Woche von Grundschulkindern – gemeinsam bei Hagebuttentee und Keksen in einem Klassenzimmer in der Grundschule Lessingstraße. „Wie war's denn so zuhause“, fragt Lehrerin Ulrike Kuckero hier regelmäßig jeden Freitag mittag, kurz nachdem sich die Kinder um den kleinen Tisch versammelt haben. Aber Haustier-Erlebnisse stehen dann nicht an erster Stelle – sondern das Leben mit Müttern ohne Väter und Vätern ohne Mütter. Kurz – um das Leben als „Kind mit getrennt lebenden Eltern“.

Eine freiwillige Arbeitsgruppe zum Thema bietet Lehrerin Ulrike Kuckero seit zwei Jahren in der Lessingstraße an – weil viele Kinder oftmals allein gelassen würden bei der Bewältigung von Streß und Konflikten – und im Unklaren gehalten über die Gründe familiärer Streitigkeiten. Reden und fragen, um klarer zu sehen, stärker zu werden und Schuld abzuladen, ist deshalb oberstes Ziel der Arbeitsgruppe: „Kinder fühlen sich oft für alles schuldig – auch für das Weggehen eines Elternteils“, sagt die Lehrerin über ihre bisherige AG-Erfahrung.

„Fragen an Mama“ steht auf einem Bogen, den die Lehrerin auf den Tisch legt – neben den Teller mit Lebkuchen-Herzen von Weihnachten. „Fragen an Mama“, die die Kinder über die Woche mit nach Hause genommen hatten. Drei der heute vier anwesenden Gruppenkinder kennen ihren Vater gar nicht, weil er in einem anderen Land lebt: Eine Mutter suchte erst auf Verlangen des Kindes nach einem Foto vom Vater – und fand es schließlich irgendwo versteckt in einer Kiste im Keller.

„Ich habe noch einen Bruder“, erzählt ganz unvermittelt die neunjährige Yasmina. „Mein Papa hat noch einen Sohn in Marokko“, erklärt sie die neueste Neuigkeit aus der vergangenen Woche. “Mein Vater weiß nicht mal, daß ich auf der Welt bin“, platzt ebenso plötzlich anschließend die zehnjährige Charlene hervor. „Wieso bist Du nicht einfach zurückgekommen?“ hatte sie ihren Vater – einen Zeitsoldaten aus den USA – noch vor einer Woche bei einem simulierten Telefongespräch in der Arbeitsgruppe gefragt. Und Lehrerin Kuckero gab ihr als antwortender Vater schon vorab intuitiv die richtige Antwort: „Aber ich wußte doch gar nicht, daß du da warst“.

„Dramatisch“ empfindet Lehrerin Kuckero ganz im Stillen für sich solche Offenbarungen – und spricht dann in der Arbeitsgruppe ganz einfach zwei Sätze aus, die an diesem Tag noch oft fallen: „Deine Mutter hat deinen Vater nicht mehr geliebt. Das kann passieren und ist ganz normal“ – sagt sie dann, um die „Trennung als Sache der Eltern“ deutlich zu machen – „aber dich hat deine Mutter geliebt, sonst hätte sie dich nicht zur Welt gebracht.“ Mehr sagt sie nicht. Und hakt auch nicht nach. Kein Anruf bei den Eltern, um mehr zu erfahren. „Ich interveniere nicht“, sagt Ulrike Kuckero – selbst wenn sie hört, daß Eltern ihr Kind geschlagen haben.

Ein Info-Brief – das ist alles, was die Eltern zum Arbeitsgruppen-Start zugeschickt bekommen. „Viele melden sich gar nicht, andere dagegen sind gerührt über das Angebot“ – wie Mareis Eltern. „Die kümmern sich“, sagt Lehrerin Kuckero. Beide leben getrennt. Eigentlich hätten sie alle wieder zusammenziehen wollen. Aber daraus wird wohl vorerst nichts, erzählt die neunjährige Marei den anderen Kindern in der Gruppe: „Da müßten wir ja eine ganz neue Wohnung finden.“ Außerdem gab's letzte Woche wieder Streit – „weil mein Papa das großkotzig fand, daß meine Mama ihm erst etwas zu trinken angeboten hatte und dann doch nichts da war – weder Bier noch Saft.“

„Wenn meine Eltern sich trennen“ ist derzeit Mareis Lieblingsbuch. Das liest sie immer gerne in der Arbeitsgruppe. Simon arbeitet derweil lieber weiter an einem neuen Fragebogen an seine Mutter. Einmal, da hat er sogar einen Brief an sich selbst geschrieben. Absender: sein Vater aus Chile. Etwas albern fand er das schon, aber manchmal ist es eben doof ohne Vater. Und manchmal auch wieder gar nicht so.

Nur mit seiner Mutter „wird–s bald kritisch zuhause“, sagt er zu Charlene, die auch immer mal wieder Streß hat. „Da können wir uns ja verbrüdern. Wenn ich nicht aufgeräumt habe, dann kriege ich erstmal eine gebackene Pfeife.“ Das „heißt verschwestern“ lacht Charlene und wirft zum Schluß noch einen „tollen Poesi-Spruch“ für alle in die kindliche Selbsthilfegruppen-Runde: „Wenn Flüsse aufwärts fließen und die Hasen Jäger schießen, wenn die Mäuse Katzen fressen – erst dann werd– ich dich vergessen“. Katja Ubben

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