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Chatten mit dem virtuellen Anwalt gegen Gebühr

■ Drei Anwälte bieten Online-Rechtsberatung an. Rechtsanwaltskammer findet das „problematisch“

Ein Mann fragt an, ob er beim Fahren ohne Führerschein in Tschechien gegen deutsches Gesetz verstoßen hat; ein Deutscher aus der Schweiz, der ein Grundstück in Berlin geerbt hat, will sich über das deutsche Erbrecht informieren; jemand aus Bombay hat Fragen zum deutschen Staatsbürgerschaftsrecht.

Das sind die Kunden von zwei Rechtsanwälten und einer Rechtsanwältin aus Charlottenburg, die einen neuen Service anbieten: die Online-Rechtsberatung. Damit soll den Ratsuchenden „der zeitaufwendige Gang zum Anwalt“ erspart werden. „Der Ratsuchende tippt seinen Sachverhalt in ein dafür vorgesehenes Feld, das kein Dritter einsehen kann. Spätestens am nächsten Werktag kann er den Rat eines der Anwälte abrufen. Die Antwort ist eine E-Mail mit ausführlichem Rechtsrat“, heißt es in der Pressemitteilung.

Seitdem 1997 neue Richtlinien zur Berufsordnung erlassen wurden, sind der Anwaltsphantasie kaum Grenzen gesetzt, solange die Werbung sachlich ist und Umsatzzahlen nicht genannt werden. Anwältin Bettina Schmidt ist eine der drei „Online-Vorreiter“. Die 31jährige, die auf Miet-, Arbeits- und Familienrecht spezialisiert ist, bietet gegen Erstattung der Erstberatungsgebühr von maximal 350 Mark eine „schnelle und unkomplizierte erste Auskunft“ an. Sie betont, daß es sich um „Formulierungshilfen“, das heißt „Hilfe zur Selbsthilfe“, handele.

Einen Vertrauensverlust durch die Anonymität befürchtet Schmidt nicht. Sie sieht darin vielmehr ein Angebot in Sachen Dienstleistung. „Vielen ist es recht, wenn sie nicht in eine Kanzlei kommen müssen.“ Doch die Tatsache, daß der Großteil der bisherigen Anfragen von Deutschen aus dem Ausland kam, scheint weniger Ausdruck von Berührungsängsten als vielmehr der grenzenlosen Möglichkeiten des Mediums zu sein.

Auch Anwalt Sebastian Bartels schwört auf sein „virtuelles Büro“. Gerade beim Strafrecht sei es „sehr gut geeignet“. Ein Großteil der bisherigen Anfragen habe sich auf Ordnungswidrigkeiten bezogen. „Die Leute wollen wissen, ob sie sich strafbar gemacht haben.“ Bartels glaubt, daß die Anonymität „die Schwellenangst“ nimmt. Doch dabei muß er auch Anfragen in Kauf nehmen, die ihn „die Augenbrauen hochziehen lassen“. So wollte beispielsweise ein anonymer Jurastudent wissen, ob er sich des Mißbrauchs Minderjähriger strafbar gemacht hat. Problematisch ist auch die Zahlungsmoral. „Viele glauben, daß sie nur mit dem Anwalt chatten“, so Bartels. Oftmals erfolgten die Zahlungen gar nicht oder erst nach mehrmaliger Aufforderung.

Als „ausgesprochen problematisch“ bezeichnet der erste Vorsitzende der Berliner Strafverteidiger, Rüdiger Portius, das neue Angebot. „Der persönliche Kontakt ist ganz wichtig, um Vertrauen herzustellen“, so Portius. Deshalb sei ein „flächendeckendes Beratungsangebot“ im Internet „bedenklich“. Portius sieht den Vorstoß im Zusammenhang mit dem zunehmenden Konkurrenzdruck. In diesem Jahr hat die Zahl der Berliner Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einen neuen Höchststand seit dem Krieg erreicht. Zu Jahresbeginn gab es 6.630 zugelassene Anwälte. Das ist ein Anstieg zum Vorjahr von 7,5 Prozent. Barbara Bollwahn de Paez Casanova

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