: 1.674 Drogentote verlangen neue Politik
■ Der erste Bericht der Bonner Drogenbeauftragten Christa Nickels schlägt einen anderen Ton an. Gefordert werden Heroin vom Staat und Druckräume. Zahlenmäßig sind Tabak und Alkohol Deutschlands Drogen Nr. 1 und 2
Berlin (taz) – In der Bundesrepublik sind vergangenes Jahr sehr viel mehr Menschen an illegalen Drogen gestorben. In ihrem ersten Drogenbericht bezifferte gestern die neue Drogenbeauftragte Christa Nickels (Bündnis 90/Die Grünen) die Zahl auf 1.674. Dies entspricht einem Anstieg um 173 Fälle oder 11,5 Prozent. Weitere Trends: Die Zahl der Ecstasy-User geht zurück, König Alkohol verursacht immer mehr Probleme.
Der erste Bericht der grünen Drogenbeauftragten fällt durch seine veränderte Tonlage auf. Soziale Aspekte sind stärker berücksichtigt, die legalen und gesellschaftlich dominierenden Drogen Tabak und Alkohol werden ausführlicher behandelt. Der Bericht ist zudem weniger im Polizeijargon gehalten als unter CSU-Vorgänger Eduard Lintner. Die Zahlen aber sind Ausdruck seiner Drogenpolitik: Ihr auf Verfolgung zielender Kurs hat erneut einen Anstieg der Toten verursacht. „Die Toten gehen noch auf Lintners Kappe“, kommentierte Dirk Schäffer, Koordinator des Junkie-Netzwerkes YES.
Nickels stellt in ihrem Bericht die Überlebenshilfe und Schadensminimierung als Ziel künftiger Drogenpolitik heraus. Der in verschiedenen Städten erprobte Betrieb von Konsumräumen (Fixerstuben) solle legalisiert werden. Ebenso wolle man in einem Modellversuch die heroingestützte Behandlung von Opiatabhängigen erproben, also Originalstoff an Schwerstabhängige verteilen.
In Sachen Ecstasy zeichnet sich eine Trendumkehr ab. Die starke Ausbreitung der Partydroge hat sich nicht fortgesetzt. Dem Drogenbericht zufolge ging die polizeiliche Registrierung „erstauffälliger Konsumenten“ sogar um 25 Prozent zurück. Amphentamin (+ 20,2 Prozent) und Kokain (+ 10,6 Prozent) verbuchen dagegen eine deutliche Zunahme. Während Frau Nickels Tabak als „Droge Nummer eins in Deutschland“ herausstellte, wird im polizeilichen Teil des Berichts Cannabis als „die am häufigsten gebrauchte Droge“ bezeichnet. Dem Bericht zufolge verfügen zwei Millionen Deutsche über Erfahrungen mit einem Joint. Die Zahl der 12- bis 25jährigen mit Drogenerfahrungen habe sich von 17 Prozent Ende der 80er Jahre auf heute 22 Prozent erhöht.
43 Prozent der deutschen Männer und 30 Prozent der Frauen konsumieren Tabak. Die fraktionsübergreifende Initiative zum Nichtraucherschutz wird von Frau Nickels „begrüßt“. Die Zahl der „durch Alkoholmißbrauch Gefährdeten“ beziffert ihr Drogenbericht auf vier Millionen. Tendenz: Die wöchentlichen Trinkmengen gingen leicht zurück, aber die Zahl der Fälle steige. Nickels will sich verstärkt für den „Aktionsplan Alkohol“ engagieren und eine Werbebeschränkung sowie „Warnhinweise am Produkt“ durchsetzen.
YES-Koordinator Dirk Schäffer forderte von Nickels eine Beschleunigung ihrer Drogenpolitik. Der Anstieg der Toten zeige, daß Druckräume und Originalstoffvergabe sowie eine weniger restriktive Substitution schneller umgesetzt werden müßten, um Menschenleben zu retten.
Manfred Kriener Interview und Bericht Seite 2
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