Analyse: Gut und schön
■ Karlsruhe spricht ein salomonisches Urteil über die Montanmitbestimmung
Es war ein Phantomstreit um ein ideologisches Symbol, der gestern durch ein salomonisches Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sein Ende gefunden hat. Die arbeitnehmerfreundliche Montanmitbestimmung ist wichtig und gut, entschied das Gericht. Der Gesetzgeber durfte auch ihr Ausbluten verhindern – nur hat er es übertrieben; deshalb sind Gesetze zur Sicherung dieser Mitspracherechte in Großkonzernen praktisch gegenstandslos.
Die Montanmitbestimmung ist älter als das Grundgesetz, schrieb das BVerfG. Der Streit darum ist sogar noch etwas älter. Ursprünglich hatten sich die Arbeitgeber in Kohle und Stahl nur auf Druck der Alliierten auf große Mitspracherechte der Belegschaft eingelassen, um die Enteignung ihrer Betriebe zu verhindern. Je mehr die Unternehmen fusionierten, je mehr die Kohle/Stahl-Industrien zusammenschrumpften, desto weniger mußten sich Großkonzerne auf den vergrößerten Einfluß der Arbeitnehmer an ihrer Spitze einlassen. Genauer: auf einen Arbeitsdirektor im Vorstand, der nicht gegen das Veto der Gewerkschaft bestimmt werden kann, auf die Stimme eines „neutralen Mannes“ im Aufsichtsrat, der in Pattsituationen den Ausschlag gibt – anstatt einer zweiten Stimme für den kapitalbestimmten Aufsichtsratsvorsitzenden, wie nach allgemeinen Regeln.
Der Gesetzgeber versuchte immer wieder, diesen Bedeutungsschwund in der Konzernspitze aufzuhalten, zuletzt durch das jetzt umstrittene Gesetz von 1988. Danach fällt aus den Montanregeln nur heraus, wer weniger als 20 Prozent des Umsatzes mit Kohle und Stahl erwirtschaftet oder wer weniger als 2.000 Beschäftigte in diesem Bereich hat. Dagegen hatte im Fall der Mannesmann AG die „Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz“ geklagt – mit Erfolg. Das Gericht entschied, die 20-Prozent-Grenze sei noch verfassungsgemäß, die 2.000-Mann-Sperre aber nicht. Daß ein Konzern wie Mannesmann mit 80.000 inländischen Mitarbeitern wegen so wenigen Montan-Arbeitern noch einen besonderen Montanbezug aufweise, könne man nicht sagen.
Daß der Streit wenig Auswirkungen hat, war von Anfang an klar. Für Mannesmann wäre die Montanmitbestimmung ohnehin 2003 ausgelaufen, weil das Unternehmen beide Kriterien inzwischen nicht mehr erfüllt. Mit dem Urteil können trotzdem alle zufrieden sein: Mannesmann kann vielleicht schon im Mai seinen Aufsichtsrat zum Teil umbesetzen, und die Gewerkschaften bekamen vom Gericht bescheinigt, daß es sich bei der Montanregelung im Prinzip um eine gute Sache handelt. Der Erste Senat stellte fest, die Konsensbildung werde durch mehr Arbeitnehmer-Mitsprache gefördert. Ohnehin hätten die Arbeitgeber nicht recht sagen können, welche Nachteile sie dadurch hätten. Gudula Geuther
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