Elektronik-Infernos

■ Alles, was akustische Schmerzen macht: Meira Asher lärmt in den Sophiensaelen

Bei Meira Asher kommen so viele Heterogenitäten zusammen, daß sich ein Crossovereffekt nicht einstellen mag. Das Schaffen der Musikerin und Performance- Künstlerin bezieht seine Kraft gerade aus dem Zusammenwirken von Disparitäten, die nicht zueinander finden möchten. Ihre Arbeit bewegt sich zwischen Avantgarde, neuer Elektronik, weltmusikalischen Einflüssen, Industrial und Gesangshysterie. In Israel machte sie sich mit ihrem ersten Album „Dissected“ einen Namen als politisch unbequeme Künstlerin. Sie singt gelegentlich auf arabisch und verarbeitet Bibelzitate in ihren Songs. So auch in „Sida“, der sich mit Krieg, Inzest und Aids beschäftigt. Ein traditionelles Gebet, in dem Gott zur Morgenwäsche für alle Körperöffnungen gedankt wird, verarbeitet sie in eine Anklage der Unterdrückungsmechanismen im Umgang mit Aids.

Die Journalistin Andrea Juno faßte Frauen, die in ihren Augen Stärke so deutlich exponieren und dabei ungewöhnliche künstlerische Wege gehen, in ihrem Buchtitel „Angry Women“ zusammen. Meira Asher würde unter den porträtierten Frauen wie Diamanda Galás, Kathy Acker oder Lydia Lunch kaum auffallen.

Asher hat in Indien klassische Trommel- und Gesangstechniken studiert, in Ghana und an der Elfenbeinküste afrikanische Musik und Tanz. Ihre letzte Platte geriet somit eher percussionorientiert und akustisch. Mit „Spears Into Hooks“, ihrer neuen Platte hat sie dagegen ein regelrechtes Elektronik-Pandämonium und Tribal-Inferno zusammengezimmert. Hier kommt alles zusammen, was akustische Schmerzen verursacht: Industrial, Noise, bulgarische Klagelieder, Stimmbrüche und fiese Techno-Schleifspuren, wie man sie von Aphex Twin kennt.

Das Ganze wird mit der Klammer „Konzeptalbum“ versehen, die Texte klagen die Situation in Israel und Palästina an, und zahlreiche Bibelbezüge sorgen wieder für das nötige Symbol-Brimborium. Mit dem Zitat „Alle Speere verwandeln sich in Haken für die Tiere, zu denen wir werden, um in unserem traditionellen Schlachthof zu hängen“, verzerrt Asher einen Spruch aus den beiden Büchern Jesaja und Micha und überschreibt ihn ihrer Platte.

Wut, Verzweiflung, Tod, Haß, Schmerz, mit allen Mitteln sollen solche Gefühlsabgründe transparent gemacht werden. In dem Stück „The Flood“ beispielsweise hört man Stimmen von Kindern, die über die verschiedenen verwendeten Geschosse israelischer Soldaten berichten, eine Frau erzählt von der Ermordung ihres Cousins. Keiner entkommt hier einer Gänsehaut. Plötzlich fängt sie an zu schreien, und die wie beiläufig erklingenden Tonsplitter werden zu Klangdestruktionen, gegen die sich Einstürzende Neubauten wie nette Vorstadt-Einfamilienhäuser ausmachen. Andreas Hartmann

Heute und morgen, jeweils um 20 Uhr, zusammen mit Daniel Baruch, Jens Greuner, Andreas Harder, Sophiensaele, Sophienstraße 18