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Was machen AKW an Neujahr 2000?

Werden die Computer in den Atomkraftwerken den Datumssprung von „99“ auf „00“ schaffen? Besorgnis im Energieministerium in Schleswig-Holstein, „Klar Schiff“-Meldung der Hamburger HEW  ■ Aus Kiel Heike Haarhoff

Das schleswig-holsteinische Energieministerium will „die drei Atommeiler im Land notfalls abschalten“. Dies drohte der für die Reaktoraufsicht zuständige Energiestaatssekretär Wilfried Voigt (Grüne) gestern in Kiel den Atomkraftwerksbetreibern Hamburgische Electricitätswerke (HEW) und PreussenElektra (Preag) an. Als Grund nannte er das sogenannte „Jahr-2000-Problem“. Die Schwierigkeiten bei der Umstellung der Elektronischen Datenverarbeitung zum Jahreswechsel 1999/2000 beträfen auch die Computersysteme der AKW und damit die Sicherheit.

2 von 46 Systemen werden ausgetauscht

Auch die EDV-Systeme in den schleswig-holsteinischen AKW Krümmel, Brokdorf und Brunsbüttel speichern vierstellige Jahreszahlen aus Speicherplatzgründen derzeit nur als zweistellige. „Beim Wechsel von 99 zu 00“, so Voigt, werde es jedoch „kritisch“, weil der Computer das Jahr 00 nicht als höhere Jahreszahl anerkenne, sondern als lange zurückliegendes Datum. Die Folgen könnten „gravierend“ sein.

So ergaben „scharfe Tests“ des Prozeßrechners im AKW Krümmel, die die Aufsichtsbehörde bereits während der Revisionsarbeiten im vergangenen August durchführen ließ, daß von 46 Systemen „mindestens zwei“ ausgetauscht werden müssen. Es handelt sich zum einen um die „Kaminbilanzierung“, die die Edelgas- und Jodabgaben aus dem AKW erfaßt. „Läuft alles weiter wie bisher, haben wir ab 2000 keine Erkenntnisse mehr darüber, welche Mengen eigentlich aus dem AKW austreten“, warnte Voigt.

Ernster noch sei das Problem bei der rechnergesteuerten Kernüberwachung, die ebenfalls ausgetauscht werden muß. Sie erfaßt den Abbrand der Brennelemente im AKW und zeigt damit an, wann diese auszutauschen sind. Daneben seien Datenfehlinterpretationen bei Strahlenschutz-, Strahlenschutzdosimeter- und Identifikationsrechnern im AKW-Eingangsbereich möglich. Diese Computer kontrollieren, wer den Meiler betritt.

Im „sicherheitsrelevanten Bereich“, also beispielsweise bei den Reaktor- und Notfallschutzsystemen, die nach Störfällen greifen, oder bei der Kühlung des Reaktorkerns, dagegen liegen dem Ministerium derzeit „keine Erkenntnisse“ über mögliche EDV-bedingte Gefahren vor. Denn diese Systeme, so Voigt erleichtert, werden größtenteils nicht über Chips geschaltet, sondern über „feste Drähte, was die Elektrik betrifft“.

Die AKW-Betreiber müssen bis Ende März gegenüber der Aufsichtsbehörde eine Einstufung vorlegen, welche Systeme bereits 2000-konform sind. Gutachten hierfür sind bis Ende Juni einzureichen. Im September dann soll die vollständige Abschlußerklärung zur Jahr-2000-Tauglichkeit vorliegen. Voigt schätzt die Kosten für die Betreiber für Umbau- und Nachbesserungsarbeiten in den drei schleswig-holsteinischen AKW auf 15 bis 20 Millionen Mark. Er gehe aber davon aus, daß „die EDV-Problematik in den Griff zu kriegen ist“.

Erstes TÜV-Zertifikat für Stromkonzern

Glaubt man der HEW, ist das Problem schon gelöst. Seit Monaten probt dort ein Team fast täglich den Jahrtausendwechsel: Computer, Telefone, Lichtschranken, Aufzüge und Kraftwerke werden mit Simulationsprogrammen auf ihre „Jahr-2000-Fähigkeit“ getestet. Das Programm hat bisher laut HEW 10 Millionen Mark gekostet. Bis Ende Juni sollen alle Geräte den Praxistest durchlaufen haben. Mit Erfolg, meint die HEW: Als erster Energieversorger in Deutschland erhielten die Hamburger jetzt vom TÜV Rheinland ein Zertifikat für ihre Lösung des „Jahr-2000-Problems“. Das Zertifikat erhielten bisher bundesweit erst drei Unternehmen.

Sollten die AKW dennoch abgeschaltet werden müssen, drohe dem Norden wie dem Rest Deutschlands aber keine dunkle Silvesternacht, meint der Kieler Staatssekretär Voigt: Die gesamtinstallierte Kraftwerksleistung in Deutschland liege bei 120.000 Megawatt, wovon AKW nur 22.000 Megawatt lieferten. Und selbst zu Spitzenbedarfszeiten würden nur 73.000 Megawatt gebraucht.

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