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Liebevoll? Begeistert? Oder verrückt?

Michael Förster ist Fußballfan. Aber nicht nur. Vor allem ist er Stadionansichtskartensammler aus Leidenschaft  ■ Von Oliver Kauer-Berk

Am Stuttgarter Hauptbahnhof fing alles an. „Einfach so“ kaufte er sich nach einem Auswärtsspiel „seiner“ Offenbacher Kickers eine Ansichtskarte des Neckarstadions. Einige Wochen später kam in Berlin eine Karte des Olympiastadions dazu. Als er zehn hatte, war für ihn klar: Ich bin Stadionansichtskartensammler. Heute hortet der im mittelhessischen Gelnhausen lebende Fußballfan Michael Förster (38) auf dem ausgebauten Dachboden über 6.500 Ansichtskarten von Fußballstadien aus aller Welt, alle im Computer katalogisiert und in Frischhalteboxen sortiert.

Seit nunmehr 25 Jahren begleitet der Justizbeamte als „totaler Anhänger der Offenbacher Kickers“ seinen Lieblingsverein auch bei Auswärtsspielen. Zur Fußballbesessenheit ist die Sammelleidenschaft gestoßen. Auf Initiative Försters hat sich 1992 auch die „Deutsche Stadionansichtskarten Sammlervereinigung“ (DSS) gegründet. Über Inserate entstanden damals die ersten Kontakte. Heute zählt die DSS rund 100 Mitglieder und pflegt Freundschaften mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt. Einmal jährlich wird ein Sammlertreffen veranstaltet, und Mitglieder erhalten regelmäßig die vom DSS-Vorsitzenden Förster produzierte, so unkommerziell-unprofessionell wie liebevoll gestaltete Vereinszeitung Das Stadion.

Im Stadion gibt es unter anderem die wichtige Flohmarkt-Rubrik, Berichte aus dem Vereinsleben („Gute Besserung: Holger war mit seinen Schalkern beim Uefa- Cup-Spiel in Trabzon und erlitt dort einen schlimmen Unfall. Beim Aufhängen seiner Schalke-Fahne fiel er von einer drei Meter hohen Stadionumgrenzung und brach sich dabei beide Knöchel“) sowie Kurzmeldungen aus der „globalen Stadionszene“. Hier erfährt man, daß der vierzig Zentimeter tiefe Krater im Dantestadion des SV Türk Gücü auf den Münchner U-Bahn-Bau zurückzuführen ist, daß Kingston-Town auf Jamaika sein „Bob-Marley-Memorial-Stadion“ bekommen hat, oder daß auf der neuen Tribüne des Landesligisten FSV Germania 09 Fulda jetzt 300 Zuschauer im Trockenen sitzen. Eben all das, was den wahren Stadienfan so interessiert. In jeder Ausgabe werden ausländische Stadien vorgestellt und analysiert.

Auch Fußballjournalisten wie taz-Autor Günter Rohrbacher- List formulieren für die Verbandszeitschrift, die in weiten Teilen so geschrieben ist, wie Fußballfans eben reden, und sich „gegen Kommerz und gegen die Versitzplatzung in den Stadien“ ausspricht. Auf Fandeutsch heißt letzteres bekanntlich: „Sitzen ist für'n Arsch“.

Die DSS ist eine eingeschworene Gemeinschaft Begeisterter. Oder auch: Verrückter. Wie so viele Leidenschaften ist auch ihre für Außenstehende auf den ersten Blick kaum erklärbar. Die Karten wechseln für ein paar Mark die Besitzer, Wucherer werden in der Verbandszeitschrift bei Namensnennung ausgezählt.

Die Stadionansichtskartensammler haben schlichtweg Spaß beim Erweitern der eigenen Anthologie und der Kooperation mit Sammlern weltweit. Wer im Ausland neue Stadionansichtskarten entdeckt, kauft für die Kumpels gleich mit ein. Man muß ja nicht gleich so übertreiben wie Förster, der während der letzten Fußball-WM an einem Kiosk in Toulouse für 700 Mark Ansichtskarten vom Stadion einkaufte. Doch er darf sich bestätigt fühlen: Fast alle Toulouser Karten hat er inzwischen getauscht. Förster sammelt nicht nur Karten, verbunden damit ist die aufwendige Recherche aller nur zu bekommenden Daten über die Stadien. Stolz ist er natürlich auf die Raritäten in seiner Sammlung, wie etwa die älteste Karte aus dem Jahr 1896, welche die Arena Civica in Mailand zeigt. „Dort fand das erste italienische Länderspiel statt“, fügt Förster hinzu. Solche Besonderheiten sind für ihn wichtig, sie heben den Sammelwert. Weiße Flecken auf der Stadionansichtskarten-Karte werden nach und nach vom DSS beseitigt. Bisher wurden dreißig Karten in Eigenregie hergestellt.

Försters ureigenes Interesse ist freilich auf den Bieberer Berg fokussiert, von dem gleich drei Karten mit unterschiedlichen Motiven produziert wurden. „Meine Frau versteht's“, sagt der Stadionansichtskartensammler und Fußball- Maniac im Kickers-T-Shirt. Das reicht als Legitimation.

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