: Wasserscheide in der EU
Der EU-Umweltrat verhandelt heute die Wasserrahmenverordnung. Entwurf strotzt vor Ausnahmeregelungen ■ Von Daniela Weingärtner
Bonn (taz) – Der Verteilungskampf um sauberes Wasser, so sagen Experten voraus, wird im kommenden Jahrtausend die Diskussionen um Waldschäden und Luftreinhaltung in den Hintergrund drängen. Heute verhandelt der Umweltrat in Brüssel ein Gesetzeswerk, das die Wasserqualität in Europa für die kommende Generation festlegen wird. Es geht um einen Ordnungsrahmen, der alle Wasserbereiche außer Trinkwasser umfaßt: die sogenannte Wasserrahmenrichtlinie.
Die bisherige Debatte zeigt, daß beim Thema Wasser neben wirtschaftlichen Interessen und geografischen Besonderheiten auch kulturelle und emotionale Unterschiede in Europa eine große Rolle spielen. Wie im jeweiligen Land traditionell mit Wasser umgegangen wird, hat damit zu tun, ob es Dürreperioden gibt oder ob Wasser zu jeder Jahreszeit im Überfluß vorhanden ist – in Irland etwa wird Wasser kostenlos verteilt.
Die Forderungen der Umweltverbände und der Wasserwirtschaft, kostendekkende Kubikmeterpreise in der Gemeinschaft verbindlich vorzuschreiben, stoßen dort auf Widerstand. England will gemeinschaftliche Standards einführen, die sich auf die tatsächliche Wasserqualität beziehen und nicht auf die Menge der eingeleiteten Stoffe. Sollte sich diese Linie durchsetzen, müßten die „nassen Länder“, in denen sich die Schadstoffe besser im Wasser verteilen, nicht so strenge Richtlinien durchsetzen wie aride Regionen.
Spanien will aber die Möglichkeit behalten, Wasser nach jahreszeitlichen Erfordernissen umzuleiten oder abzupumpen. Die Umweltverbände verweisen auf die katastrophalen ökologischen Folgen derartiger Wasserbewirtschaftung. Seit Spanien Mitglied der EG wurde, müssen Wasserangelegenheiten einstimmig beschlossen werden. Auf dieses Vetorecht beruft sich die spanische Regierung nun auch bei der Wasserrahmenrichtlinie. Sollte sie gegen Spaniens Einspruch mehrheitlich beschlossen werden, will das Land den Europäischen Gerichtshof anrufen.
In einer Erklärung vom Februar 1995 haben alle Mitglieder der Gemeinschaft die besondere Bedeutung des Grundwassers für Ökosysteme und Trinkwasserversorgung betont. Sie haben die Kommission aufgefordert, ein Gesamtkonzept zum Gewässerschutz zu erarbeiten. Im Juli 1998 haben 12 der 15 EU-Staaten gemeinsam mit der Kommission eine Erklärung zum Schutz des Nordostatlantik verabschiedet, die sich darauf festlegt, die Einleitung von gefährlichen Stoffen in die Meeresumwelt bis zum 31. 12. 2020 abzustellen. Der Kompromißvorschlag zur Wasserrahmenrichtlinie, über den die Umweltminister der Gemeinschaft heute verhandeln, fällt hinter diese beiden gemeinschaftlichen Erklärungen weit zurück. Wie soll ein Meeresschutzabkommen wirksam werden, fragen Straßburger Parlamentarier und Umweltexperten, wenn für die einleitenden Flüsse weniger strenge Grenzwerte gelten und der Zeitplan für Qualitätsverbesserungen noch dazu großzügiger bemessen ist?
34 Jahre sind nach dem jetzt vorliegenden Entwurf als Übergangsfrist vorgesehen, bis die Mitgliedsstaaten die Ziele der Richtlinie erreicht haben müssen. Eine Ausnahmeregelung für „stark veränderte Gewässer“ soll eingefügt werden. Sie hätte zur Folge, daß die Richtlinie auf fast 90 Prozent der Oberflächengewässer gar nicht mehr anwendbar wäre. Der Umweltausschuß des Parlamentes hat Änderungsanträge zu diesen kritischen Punkten eingebracht, die am 11. Februar bei der Abstimmung eine Mehrheit fanden.
Der gemeinsame Standpunkt zur Wasserrahmenrichtlinie, den der Umweltrat heute formulieren wird, wandert anschließend zur 2. Lesung zurück ins Parlament. Da voraussichtlich zum 1. Mai der Amsterdamer Vertrag in Kraft tritt, ändert sich die Rolle des Parlaments in der Umweltgesetzgebung. Es darf nicht mehr nur abnicken, es kann auch ablehnen. Für den Fall, daß Mindeststandards über Bord gehen, haben einige Parlamentarier schon damit gedroht, die Wasserrahmenrichtlinie platzen zu lassen. Das käme allerdings gerade den Mitgliedsländern gelegen, die gegen gemeinschaftliche Mindeststandards in der Wasserpolitik sind. Spanien hätte sich dadurch den Weg zum Europäischen Gerichtshof gespart.
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