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Kehlköpfiges Knödeln

■ Tralala satt: Ein Gesangs- und zwei Kabarettprogramme

Musikhalle: Max Raabe

„Wir wollen uns gar nicht lange zieren“, kündigt der schlanke Frackträger die erste Zugabe an, während seine rechte Augenbraue in die Höhe zuckt. Blumenregen von den Rängen. Wellentäler und -kämme formt der Sänger Max Raabe mit seiner Stimme im Verlauf dieser kurzen Ansage. Die Rrrs hüpfen getreu dem Stile der frühen Tonfilm-Operetten. Die erste Silbe des Wortes „zieren“ längt Raabe mit solcher Hingabe, daß er lautmalerisch die getroffene Aussage ad absurdum führt. Dann setzt das zwölfköpfige Palast-Orchester (gesprochen „Orrr . . . cchesterr“) mit „Kein Schwein ruft mich an“ ein.

Spätestens seit diesem selbstkomponierten Titel, der auch in der Verfilmung von Ralf Königs Comic Der bewegte Mann erklang, ist Max Raabe eine Kultfigur. Souverän überziehen in dem Lied Klänge im Stile der 30er Jahre den Text mit Patina, der das Schicksal eines Anrufbeantworterbesitzers der Gegenwart beinhaltet. Das Publikum in der Musikhalle tobt.

Schon in Berlin brach angesichts seines neuen Programms Euphorie aus. Die Medien erachteten jede Lebensregung des pomadeglänzenden Varietéstars aus Westfalen, der im Sommer seine Gesangsausbildung an der Berliner Hochschule der Künste als Bariton im Kavalierfach abschloß, für bemerkenswert.

Schwer ist der perfekt nostalgischen Inszenierung in der Musikhalle zu widerstehen. Singles der Prä-X-Generation erwärmen sich für Max Raabes knödelnden Gesang, Ältere schwelgen in Jugenderinnerungen. Manch junger Zuschauer kleidet sich gar a la Max mit Monokel und Frack, eine Gruppe junger Damen trägt Charleston-Roben. Max Raabe führt jeden Schlager mit trocken-witzigen Bemerkungen zu seiner Geschichte ein; erläutert prägnant die authentischen Arrangements der 20er und 30er Jahre. Das Orchester, stets im folgsamen Zusammenspiel mit seinem Dompteur, verströmt Charme ganz im Stil früherer Tanzpaläste: Im Smoking gewandet, erheben sich die Solisten; eine Rumba begleiten die Schlaginstrumentalisten, behütet von übergroßen Sombreros. Bei dem Stück „Unter den Pinien von Argentinien“ stimmen der Kontrabassist und der zweite Trompeter in Raabes kehlkopfiges Ondulieren des wenig gehaltvollen Refrains mit ein.

Zwischen den Strophen läßt Raabe sich auf einem roten Samtstuhl nieder, schlägt die langen Beine übereinander, die Hände ruhen im Schoß. Naht sein Einsatz, erhebt er sich gemessenen Schrittes, stets den linken Manschettenknopf zupfend. Max Raabe brilliert durch sein auf die Spitze getriebenes Understatement. Am 23. Februar des kommenden Jahres werden seine hinreißenden Interpretationen erneut in der Musikhalle erklingen. Bis dahin heißt es: warten.

Ute Brandenburger

Schmidts Tivoli: Schmonz Show

„Jetzt den Gang hinunter und zur Saaltür hinaus“ – beim Kinderwagen-Wettrennen ist die Gelegenheit zur Flucht aus der Schmonz Show im Schmidts Tivoli günstig. Aber nur wenige trauen sich, und den anderen bleibt nichts erspart: durchschaubare Uralt-Gags und dröge Persiflage von ausgelutschten Klischees. Das alles auf einem Niveau, wo der Stammtisch längst aufgehört hat und die Bierlache anfängt.

Fast hilflos reihen die Shy Guys, drei Männer und eine Frau aus Schwaben, die Komiknummern aneinander, ohne Verbindung, ohne Tiefgang. Ein gewaltiger Budenzauber, zwanghaft lustig, um vor allem eins nicht aufkommen zu lassen: eine lachfreie Minute. Aber wie bei allen Zwängen tritt genau das ein, was man so ängstlich zu vermeiden trachtete: Das Lachen schafft es nicht mal bis zum Hals, und das Zwerchfall bleibt schlaff.

Nur ein dünner roter Faden hält die Schmonz-Show zusammen: die Parodie auf diverse TV-Quassel-Shows. Aber der wird nur bemüht, wenn's gar nicht mehr weitergeht. Ansonsten gilt das Rezept: Eine Masche, die einmal lustig ist, muß mindestens noch zehnmal weitergestrickt werden. So endet die Parodie-Tour durch Deutschlands Regionen erst, als die Shy Guys beim Ruhrgebiet ankommen und die Schwierigkeiten bei der Imitation des Ruhrpott-Slangs nicht mehr zu überhören sind.

Unvermeidlich auch der pubertär-alberne Griff unter die Gürtellinie: Wenn sich die gar nicht schüchternen Jungs riesige Plastik- Dödel umschnallen und dazu „Der Wind hat mir mein Glied verkühlt“ singen. An dieser Stelle ist der Gipfel der Peinlichkeit erreicht, der Sekt ist ausgetrunken, die Zigaretten sind auch alle, die Stuhlreihen weiter hinten im Saal schon gelichtet und es geht unbarmherzig weiter, bis die Comedy-Katastrophe mit einem pyrotechnischen Knalleffekt endet. Was bleibt, ist Rauch und heiße Luft. Oliver Fischer

Noch bis Sonntag, jeweils 20 Uhr

Meerkabarett: Geschwister Pfister

Sie sind lustig, laut, schrill und bunt und werden von den Zuschauern frenetisch gefeiert: Das schweizerische Trio Geschwister Pfister beglückt im „Meerkabarett“ auf der Meenkwiese im Hayns Park nach Erfolgen in Berlin und auf Sylt nun auch das Hamburger Publikum. So ganz überzeugend, wie die Resonanz das suggeriert, war ihr Auftritt dennoch nicht.

Im Zelt der „Fliegenden Bauten“ halten die Pfisters seit Mittwoch über drei (!) Stunden lang ihren March For Glory ab, der den „Kampf für eine gerechte und friedliche Unterhaltung“ dokumentieren soll, wie es die Künstler selbst beschreiben: Das schlüpfrige Programm frönt immer wieder homoerotischem Habitus und tuntenhaftem Gestus, Garant für zahlreiche Lacher und allgemeines Amüsement.

Bei der Hamburg-Premiere gelangen die Musik- und Gesangseinlagen ziemlich perfekt, die Verkleidungen waren abwechslungsreich, und die Truppe strotzte nur so vor Selbstbewußtsein. Es gab aber auch weite Programmstrecken, die nicht so recht begeistern konnten. Die zweigeteilte Show kam bei den drei Komikern besonders in der ersten Stunde nur schleppend in Gang. In amerikanischen Armeeuniformen standen sie statisch nebeneinander aufgereiht. Das Auf-und-ab-Marschieren auf der Bühne, zackiges Grüßen und Gleichklang in Bewegung und Sprache – eine solche „Soldatenästhetik“ ist der Tod jeglichen spontanen Witzes. Den haben sie dann versucht, durch spritzige Sprüche, kleine Witzchen und müde Gags zu kompensieren. Geschafft haben sie das aber erst, als sie sich nach einer Stunde ihre Uniformjacken vom Leib rissen und im Publikum Räucherstäbchen und einen Joint zum Rauchen verteilten.

Beim zweiten Teil wurde dann auf Kosten des gesprochenen Witzes fast ausschließlich gesungen und damit die Ausgewogenheit aufgegeben. Trotzdem: Fünf Zugaben sprechen für sich.

Ludger Hinz

Noch bis 1. Oktober, täglich außer montags und dienstags um 20.30 Uhr

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