Verbrechen und anderes Gebrüll

Am schönsten ist es noch immer, Schlachten, die man nicht schlagen muß, auf Video zu gucken: Gabriele Gysis Inszenierung von „Heinrich IV., 1“, der zweite Teil des Rosenkriege-Projekts der Volksbühne  ■ Von Petra Kohse

Das Ende ist kurz und voller Schönheit. Schon vor dem Kampf erschlafft, sinkt der Rebellentrupp im Schneegestöber nieder, zieht die Wolldecken von den mitgebrachten Schubkarren und guckt sich die Schlacht auf Video an. Auf vier Monitoren Getümmel und Gemetzel aus dem „Falstaff“-Film von Orson Welles, auf der Bühne ein mühsames „Was ist die Ehre – ein Wort“. So, genau so, als ferne Erinnerung an Shakespeares Traum von „Heinrich IV.“ ließe sich der erste Teil dieses Dramas vielleicht erzählen. Des Dramas vom König, der seinen Vorgänger Richard II. ermorden ließ und nun von seinen einstigen Helfern selbst bedroht wird.

Es ist aber nur die letzte Szene von Gabriele Gysis Inszenierung im Shakespeare-Volksbühnenturm im Prater, die so etwas wie eine Geschichte andeutet. Davor liefen die Figuren mit ihren Textfragmenten wie aufgezogen im Kreis herum, stolperten über Sessel und Sofas, gingen aufeinander los wie die Berserker und hatten keine Ahnung, warum. Von der zweiten Folge des Rosenkriege- Serials an der Volksbühne bekam man nichts mit, außer daß es irgendwie um „Verbrecher“ ging, zu denen Jürgen Kuttner in einer stilleren Minute von einem der Ränge aus erläuterte, sie seien unverzichtbar, um Politik zu machen. Sieh an.

Bei den Figuren, die für sich allein funktionieren, ging die Sache leidlich gut. Gerd Preusche als König hat seine Schuldgefühle und plant eine Sühnereise nach Jerusalem. Wie ein Rentner vor der Übersiedlung ins Altersheim streicht er händeknetend um seine aufeinandergetürmten Cordpolster. Auch Ulrich Voß als Freßnick Falstaff, der den jungen Prinzen Heinrich (Heinz genannt) zu Diebstahl, Wein, Weib und Gesang verführt, ist in Sicherheit. Er ist angemessen fett, feige, verschlagen und fast rührend selbstgefällig.

Wo aber Verhältnisse zwischen Figuren gestaltet sein wollen, ist nur viel Lärm um nichts. Nicht daß man ernsthaft eine kohärente Erzählung des überbordenden Stoffes erwartet hätte, eine Standbein-Spielbein-Rezitation des klassischen Textes. Nicht einmal die Beziehungen, wie sie das Stück andeutet, hätten inszeniert werden müssen. Gysi aber zeigt nichts. Auf keiner Ebene. Wenn Carolin Mylord als Wirtin Hurtig den Prinzen Heinz (Matthias Matschke) anbrüllt, ein Gesandter seines Vaters stehe vor der Tür, und er erschrocken reagiert und wie angestochen im Kreis rennt, kreischt sie ihm plötzlich verwundert hinterher, was er denn da zu rennen habe.

Das geht so natürlich nicht. Gysi will einen bestimmten Ton angeschlagen haben, motiviert ihn aber nicht und peitscht die Schauspieler voran, statt ihnen die Gelegenheit zu geben, sich zuzuhören. Vorgeführt werden exaltierte Spitzen eines Theaters, das man gemeinhin Castorf-Theater nennt, aber ohne Bodenhaftung durch die Persönlichkeit und Präsenz der Darsteller. Eine Pervertierung.

Auch Castorfs Einstieg in die geplante Soap-opera um die Kapitalisierung der Gesellschaft mit „RichardII.“ war ein Durcheinander von Texten und Figuren. Aber wenigstens gut gelaunt. Dieser „Heinrich IV., 1“ ist so verbissen, daß auf einer ganz unfreiwilligen Ebene der Volksbühnenuntertitel des Dramas, „Die Lohnarbeiter“, doch noch Sinn macht. So unfroh hat man das gagenabhängige Ensemble der Volksbühne lange nicht erlebt.

Wieder am 14. und 15.3., 20 Uhr. Am 16.3., 20 Uhr, gibt Dietrich Schwanitz einen Shakespearekommentar zum Thema „Reklame für den König“, am 23.3. Christian Semler zur „Kultur des Verrats“. Alles im Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg