: Die hohe Kunst der Berührung
Druck auf die Meridiane: Durch die fernöstliche Massagetechnik Shiatsu soll blockierte Lebensenergie wieder zum Fließen gebracht werden ■ Von Volker Wartmann
„Die Zahl der Patientinnen, denen Shiatsu von ihren Hausärzten empfohlen wurde, nimmt seit einiger Zeit auffällig zu“, sagt Edith Storch. Sie ist seit 18 Jahren Shiatsu-Therapeutin und Leiterin des Shiatsu Zentrums in Kreuzberg. „Shiatsu wird zunehmend populärer.“ Denn immer mehr Ärzte wie Patienten öffnen sich für alternative Behandlungsmethoden.
Grundlegend für das Verständnis von Shiatsu wie der traditionellen fernöstlichen Medizin generell ist die Vorstellung von der Existenz einer allen Lebewesen innewohnenden Lebensenergie, die im chinesischen Qi genannt wird. Diese Lebensenergie durchströmt den menschlichen Körper in Energiebahnen, sogenannten Meridianen. Bei Erkrankungen ist das harmonische Fließen von Qi gestört, so die Philosophie. Ziel von Shiatsu ist, die Körpermeridiane mittels Druck- und Dehnungstechniken zu beeinflussen, um so die blockierte Lebensenergien wieder ins Fließen zu bringen.
Shiatsu wird oft mit Akupunktur und der traditionellen chinesischen Medizin in einem Atemzug genannt. Der theoretische Hintergrund weist viele Gemeinsamkeiten auf, zum Beispiel das Prinzip von Ying und Yang und die Lehre der Meridiane. Von den in der westlichen Welt bekannten physiotherapeutischen Techniken ist es am ehesten mit der Massage vergleichbar. Während einer Shiatsu- Behandlung liegt der Patient – im Unterschied zur Massage bekleidet – auf einer Matte oder einem Futon. Der Therapeut kniet neben seinem Klienten und übt senkrecht auf die Muskulatur einen sanften, zunehmend stärker werdenden Druck mit Daumen, Fingern, Handballen, Unterarm, Ellenbogen oder Knie aus.
In der Einatmungsphase wird der Druck kontinuierlich gesteigert und dann beim Ausatmen langsam wieder reduziert. „Die Berührungen führen zur Anregung und Harmonisierung des Energieflusses“, so Storch. „Durch Shiatsu wird ein bewußteres Spüren des gesamten Körpers erfahrbar. Die Atmung vertieft sich und die eigene Selbstwahrnehmung wird verändert.“ Shiatsu diene der Erhaltung der Gesundheit, da „Störungen im Fluß der Lebensenergie“ frühzeitig entdeckt und behandelt werden könnten, bevor sie zu Krankheiten führen. Zudem könne Shiatsu zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte beitragen.
In der Mehrzahl seien es Frauen mittleren Alters, die Shiatsu zur Linderung körperlicher Beschwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen oder Menstrutionsbeschwerden nutzen. „Viele gönnen sich Shiatsu aber auch einfach zur Entspannung“, sagt Storch. „Auf diese Idee kommen Männer meist erst dann, wenn sie völlig überarbeitet sind.“ Storch betrachtet Shiatsu nicht als Ersatz für traditionelle medizinische Behandlungsmethoden, sondern sieht die „Kunst der Berührung“ vielmehr als begleitende und ergänzende Form der Therapie an.
Eine Shiatsu-Behandlung dauert in der Regel etwa eine Stunde. „Es ist sinnvoll, sich im Wochenrhythmus oder vierzehntägig behandeln zu lassen, da sich die Wirkung aufbaut und so länger anhält“, sagt Storch. Shiatsu-Behandlungen werden von Krankenkassen jedoch nur in Ausnahmefällen bezahlt. Regelmäßige Besuche bei der Shiatsu-Therapeutin erfordern daher ein gewisses Einkommen. „Eine einstündige Behandlung kostet zwischen 80 und 100 Mark.“
Shiatsu-Therapeut ist kein anerkannter Beruf. Im Grunde kann man sich schon nach dem Besuch eines Wochenendseminars so nennen. Solchem Wildwuchs will die 1992 gegründete Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland (GSD) entgegenwirken. Die GSD setzt sich dafür ein, daß Shiatsu als eigenständige Behandlungsmethode anerkannt wird. „Öffentliche und insbesondere staatliche Anerkennung ist nur mit dem Nachweis einer qualifizierten, das heißt bestimmten Richtlinien entsprechenden Ausbildung möglich“, sagt Ulrike Haffke, Geschftsführerin der GSD. Die von der GSD anerkannten Shiatsu-Therapeuten erfüllen bestimmte Qualitätsstandards. „Sie müssen mindestens drei Jahre Erfahrung und eine 500stündige Ausbildung nachweisen“, so Haffke. „Shiatsu lernen heißt spüren lernen.“
In Deutschland gibt es rund 400 von der GSD anerkannte Shiatsu- Therapeuten, in Berlin sind es etwa 80. An 14 von der GSD anerkannten Schulen mit unterschiedlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung ist eine Ausbildung zum Shiatsu-Therapeuten möglich.
Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland, Winterfeldtstr. 97, 10777 Berlin, Tel. 2182703, Mo–Do 13–18 Uhr. Ein kostenloser Infoabend zu Shiatsu findet am Do, den 18. März, um 18.30 Uhr im Shiatsu-Zentrum, Oranienstr. 163, HH. 4. Stock, 10969 Berlin, statt.
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