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Unbewiesen, aber erfolgreich

Ein Heilpraktiker will mit der computergestützten Clusteranalyse der individuell passenden homöopathischen Arznei auf die Spur kommen. Ein Erfahrungsbericht  ■ von Ole Schulz

Vier Tage lag ich schon flach und schlief fast pausenlos. Ich hatte Fieber, Schüttelfrost und Schnupfen, eine ausgewachsene Grippe, und das gerade jetzt. Beruflich konnte ich es mir überhaupt nicht leisten, krank zu sein. Ich hatte bereits vor einigen Wochen Antibiotika genommen, als meine Mandeln entzündet waren. So ging ich nun zum ersten Mal in meinem Leben zu einem Homöopathen. Vielleicht würden mir seine sanften Gegengifte schnell wieder auf die Beine helfen.

Auf Strümpfen öffnet mir Michael Blunck die Tür zu seiner Praxis. Beruhigende Naturgeräusche und Vogelgezwitscher dringen leise aus Lautsprechern in dem stilvollen Behandlungszimmer. An der Wand steht ein großer indonesischer Gong, den Blunck von seinen Asienreisen mitgebracht hat, am Fenster ein Foto, das den Heilpraktiker mit Mutter Teresa zeigt. Mir wird klar, warum es heißt, das „Setting“ in homöopathischen Praxen sei meist hochkultiviert.

Der 53jährige Blunck erzählt, er habe seine homöopathischen Fähigkeiten vor allem in Indien erworben. Homöopathie ist für ihn eine auf über 200jähriger Tradition beruhende „Erfahrungswissenschaft“, die neben einem umfassenden Studium „Liebe zur Arbeit, Einfühlungsvermögen und Geduld, Geduld und nochmals Geduld auf beiden Seiten“ verlangt, sagt Blunck. Im Gegensatz zu vielen Schulmedizinern, die ihre Patienten im Minutentakt wie am Fließband mit Medikamenten abfertigen, läßt er sich viel Zeit. Denn die Homöopathie ist vor allem eine sprechende Medizin, die ohne Apparate und teure Arzneien auskommt. Die obligatorische Anamnese, wie die Homöopathen die Aufnahme der Krankengeschichte des Patienten nennen, ist ein langwieriges Frage-und-Antwort- Spiel, das einen Katalog von über hundert Fragen umfaßt und mindestens eine Stunde dauert. Weil die Behandlung so zeitaufwendig sei, könne er höchstens vier Patienten am Tag betreuen, sagt Blunck. Die meisten Kassen kommen allerdings weder für die wichtige Erstuntersuchung noch für weitere Sitzungen auf.

Als ich Michael Blunck von meinem Leiden erzähle, lächelt er nur. „Eine Erkältung ist ein Zeichen ihres Körpers, daß er Ruhe und Erholung braucht.“ Viel mehr, als mich ins Bett zu legen, könne ich nicht machen. Er schlägt aber vor, mit mir ein neues Verfahren auszuprobieren. Dazu brauche er nur einen Tropfen meines Speichels, der als genetischer Fingerabdruck das Auffinden der für mich geeigneten homöopathischen Arznei erleichtere. Der Speichel werde zunächst kristallisiert und dann mit den – in einer Datenbank gespeicherten – kristallinen Strukturen der vielen hundert homöopathischen Mittel in ihren verschiedenen Verdünnungsstufen verglichen. Ich willige ein, verbringe die zwei folgenden Tage brav im Bett – worauf es mir schon viel besser geht – und warte gespannt auf die Ergebnisse der Speicheluntersuchung.

„Similia similibus curentur“ – Ähnliches sei mit Ähnlichem zu heilen. Dieses Diktum des Arztes Samuel Hahnemann (1755–1843) gilt bis heute als der Grundstein des homöopathischen Theoriegebäudes. Der Begründer der Homöopathie hatte im Selbstversuch festgestellt, daß das Antimalariamittel Chinarinde bei einem Gesunden wie ihm Fieber auslöst. Daraus schloß er: „Um sanft, schnell, gewiß und dauerhaft zu heilen, wähle eine Arznei, die ein ähnliches Leiden erregen kann wie sie heilen soll.“ Weil etwa ein Extrakt aus dem Schweigrohr einen gesunden Mann zur „Ejacutio praecox“ nötige oder ihm Erektionsprobleme bereite, könne es einen Impotenten von seiner Not befreien. Inzwischen haben die Homöopathen rund 2.000 Mittel geprüft, indem sie diese mehreren gesunden Probanden verabreicht und die Wirkungen notiert haben, und anschließend in Gebrauch genommen. Die meisten dieser Arzneien entstammen Pflanzen, aber auch Krötendrüsensekret, Gold oder zerquetschte Waldameisen zählen zu ihrem Repertoire.

Die Schulmediziner stört weniger, daß auch giftige Substanzen wie Fliegenpilz-Extrakt und Schlangengift, Arsen und Strychnin verabreicht werden, sondern mehr noch, daß die medizinische Wirkung der homöopathischen Arzneien mit rationalen, wissenschaftlichen Methoden gar nicht zu erklären ist: Denn die Heilsubstanzen werden mit Wasser und speziellen Schütteltechniken ins schier Endlose verdünnt. Schon eine niedrige Potenz wie D16 – eine Verdünnung im Verhältnis 1:9, 16mal wiederholt – entspricht etwa der Lösung von einem Gramm Kochsalz im Bodensee, bei höheren Verdünnungen ist nicht einmal mehr ein Atom der ursprünglichen Arznei enthalten. Hahnemann ging noch einen Schritt weiter: Je höher ein Mittel verdünnt sei, desto stärker wirke es, behauptete er. Daher nannte er den Verdünnungsprozeß auch „Potenzieren“.

Die Homöopathie sei eine Suggestivtherapie, ihre Wirkung allein mit dem Placebo-Effekt zu erklären, schimpfen daher ihre Kritiker unisono. Gleichzeitig können Schulmediziner nur mit den Schultern zucken, wenn sie ihrerseits erklären sollen, warum die Homöopathie vor allem bei chronischen Leiden wie Migräne, Nebenhöhlenentzündungen oder Hauterkrankungen hilft – ein Befund, den auch placebokontrollierte Doppelblinstudien zu bestätigen scheinen.

Als ich eine Woche später in die Praxis zurückkehre, steht schon ein Fläschchen mit „meiner“ Arznei auf dem Schreibtisch – die Kunst der homöopathischen Medizin ist es, jenes Mittel zu finden, das genau dem Wesen des Kranken entspricht. Der Homöopath ist deshalb auch eine Art Psychologe. Er achte nicht nur darauf, wie ein Patient zum ersten Mal den Raum betrete und sich auf den Stuhl setze, sagt Blunck, sondern überhaupt auf seine Mimik und Körpersprache. Ziel sei es, hinter die vordergründigen Symptome vorzudringen, Blockaden zu lösen und traumatische Erfahrungen aufzuarbeiten, um mit sich selbst ins Reine zu kommen und die Balance zwischen Körper, Geist und Seele wiederherzustellen.

Auf fünf Seiten sind die Ergebnisse des Speicheltests aufgelistet: Ähnlichkeiten mit kranken Organen sind ebenso in Prozentzahlen angegeben wie Dispositionen für psychosomatische Erkrankungen. Aus den sieben homöopathischen Mitteln, die meiner Speichelstruktur wundersamerweise zu je 96 Prozent entsprechen, hat Blunck für mich „Campher“ als geeignete Substanz ausgewählt. Eine Arznei, die gegen Angst und große Ruhelosigkeit helfe. Jede Stunde drei Kügelchen in der niedrigen Verdünnung D12. Mein persönliches Thema sei die „Wahrhaftigkeit“ – mir selbst und meinen Mitmenschen, vor allem den Lebenspartnern gegenüber. Weil ich eine Veranlagung für Magengeschwüre hätte, sei es wichtig, daß ich Ärger nicht in mich hineinfresse. Ohnehin könne das ganze Immunsystem nur mit einer vernünftigen Verdauung richtig funktionieren. In meinen Erbanlagen sei zudem eine Disposition für schwere Rückenleiden zu erkennen. Als ich in meiner Familie nachfrage, erfahre ich, daß mein Vater schon als Jugendlicher lange unter einem Scheuermann zu leiden hatte. Mit Erstaunen muß ich feststellen, daß das, was ich beim Arzt erfahren habe, tatsächlich etwas mit mir zu tun hat. Mit dem Kaffeetrinken habe ich schon aufgehört – denn schließlich soll das ja die homöopathischen Mittel wirkungslos machen.

Heilpraktikerpraxis Michael Blunck & Angelika Möller, Reichsstr.71, 14052 Berlin (nahe U-Bhf. Westend), Sprechzeiten nach Vereinbarung, Tel. 30811790

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