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Das Sausen des Drachen

■ Sinkendes Vertrauen in den Körper als letzten Garanten des authentischen Erlebens: Auf dem SoloDuoFestival im Theater am Halleschen Ufer haben Sinnlichkeit und Leidenschaft ausgetanzt

Der Körper ist wie eine Karte, die man blind gezogen hat. Erst wie man das zugeteilte Blatt spielt, verrät den Charakter, behauptet John Berger in dem Roman „Flieder und Flagge“. Seine Sympathie gilt den Verschwendern, die andere an ihrem narzißtischen Selbstgenuß teilhaben lassen.

In einigen der Solos dagegen, die bisher im Festival des Theaters am Halleschen Ufer zu sehen waren, haben Sinnlichkeit und Leidenschaft ihre Rolle als Leitmotive des Tanzes ausgespielt. Man ist hart zu sich selbst und sparsam in seinen Mitteilungen. Bei Christina Ciupke, die jede Bewegung lange nach ihrer Notwendigkeit befragt, bevor sie tatsächlich geschieht, bewachen große, auf Tücher projiziierte Augen die Bühne. Oft sah man Ciupkes Körper nur, wenn sie durch das Licht der Projektoren glitt. Warten und Beobachten: Die dichte Poesie ihrer bisherigen Zusammenarbeit mit der Fotografin Gisela Dilchert hatte „der Ort ist zufällig“ noch nicht.

Das Vertrauen in den Körper als letzten Garanten des authentischen Erlebens sinkt; vielleicht wehrt er sich gar gegen die Überforderung, soziale und kulturelle Identitätsdefizite auszugleichen. Damit beschäftigt sich die portugiesische Choregraphin Angela Guerreiro, die über die Hamburger Kampnagel-Fabrik nach Berlin gekommen ist. Sie war mit zwei Soli für die Tänzer Marc Rees und Aloisio Avaz beim Festival dabei. In „Antarctica“ hört man anfangs im Dunkeln das heftige Sausen und Flattern eines Drachens, den Avaz über seinem Kopf schwenkt: Das Fluggeräusch bleibt eine Chiffre der Sehnsucht über dem so ganz anderen Tanz.

Kahlgeschoren und knochig stellt Avaz mit extremen Dehnungen seinen Körper aus, als gälte es, die Leistungsfähigkeit einer Maschine zu beweisen. Fast autistisch und aggressiv wirken seine Verwringungen, als ob er mit dem Widerspruch kämpfte, etwas aus sich herauszupressen und gleichzeitig mit aller Macht festhalten zu wollen. Entstanden ist „Antarctica“ aus einer Auseinandersetzung des Tänzers mit seiner Heimat und Vergangenheit in Brasilien; aber nicht die Rekonstruktion einer Identität, sondern die Widersprüche der Selbstentwürfe beschäftigen ihn.

Ganz anders fertigte Erico Villanueva den Anspruch körperlicher Wahrheit ab. Sein überdrehter und hektisch zerfledderter Tanz „Sherry (coming home)“ scheint vor allem eine Abrechnung mit seiner Vergangenheit als Ballett-Tänzer in Kuba und New York. Mit sportlichem Ehrgeiz karikiert er die Verausgabung in den großen Gesten und trippelt durch verzerrte Bilder einer standardisierten Ästhetik.

Wesentlich sicherer in der Frage, was sie vom Tanz wollen, scheinen der Choreograph Christoph Winkler und die Tänzerin Peggy Ziehr. Winkler, das erstemal am Halleschen Ufer dabei, wagt sich an einen abstrakten Tanz, der ganz auf die Ausdifferenzierung von Strukturen setzt. Ein Klavier, das mit offener Rückseite in einer Ecke der Bühne steht, unterstreicht den gemeinsamen Ansatz der Musik von C. Nancarrow und der Choreographie in der Betonung des Mechanischen.

„Studies“ wird zur virtuosen Entdeckungsreise, die einen großen Reichtum an Flexibilität und Dynamiken im Körper durchspielt, von dem man gewöhnlich nur einen kleinen Teil benutzt. Katrin Bettina Müller

Weiteres Programm: 15. März: Thomas Lehmen und Susanne Kirchner, 17.+ 18. März: Cie. Toula Limnaios, 20. + 21. März: Riki von Falken, jeweils 21 Uhr

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