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Madame Chirac trägt Amerikanisch

Palastrevolution in Paris: Die eben zu Ende gegangenen Prêt-à-porter-Schauen erlebten den großen Durchmarsch der US-Designer. Die französische Bourgeoisie legt das traditionelle Kostüm mit Goldknöpfen ab und entdeckt Edelsportswear  ■ Von Anja Seeliger

Die ersten Kollektionen für das neue Jahrtausend: Keiner hat erwartet, daß plötzlich mit allen Regeln gebrochen wird, aber aufregend versprachen diese Schauen doch zu werden. Der Silvesterball ist vielleicht das letzte Ereignis, bei dem die triumphale Pracht der französischen Mode noch einmal angemessen ist. Also her mit den Federn, Fransen, Pailletten, Rüschen, Blumen, Stickereien. Nie waren Journalisten und Einkäufer so bereit und willig, französischem Putz eine Ovation zu bereiten. Schien aber kein französischer Designer Wert drauf zu legen. Das am häufigsten gesehene Kleidungsstück bei diesen Schauen waren – Bettdecken!

Chanel und Gaultier zeigten beide lange Abendröcke aus gesteppten Daunendecken. Bei Gaultier waren sie immerhin mit Spitze gefüttert. Dennoch: Es blieben Bettdecken. Auch Wolldecken sah man viel – als Mantelersatz fest um den fröstelnden Körper gewickelt. Ja, es ist eine kalte unfreundliche Welt. Die Franzosen müssen das zur Zeit besonders drastisch erfahren. Fast beiläufig sind sie bei dem jährlichen Schauenreigen auf dem letzten Platz gelandet – nach New York, nach London und nach Mailand.

Was wärmt noch? Leder und Pelz. Kein Fake diesmal, sondern die echte Chose. Skunk bei Louis Vuitton, Pelzpullover und mit Nutria gefütterte Jacken bei Loewe, Kaninchen und geschorener Nerz bei Celine, Fuchs bei Givenchy, Robbenfell bei Gaultier. Leder und Pelz wird nicht nur bei Mänteln und Jacken verwendet. Viele Designer nutzten es auch für Röcke oder Oberteile. Karl Lagerfeld eröffnete seine Schau für Chanel am Freitag mit einem ärmellosen pelzgefütterten Leibchen aus Wildleder. Dazu reichte er lange Strickhosen aus melierter Wolle mit einem kleinen violetten Fransenrand an den Säumen.

Chanel bot alles, was an aktuellen Trends durch die Gegend schwirrte: schwarze Kleider für die Liebhaber des Gothic, Pailletten für die Disco, Pelz und Leder für Naturfreunde und wollene Kostüme, die so locker geschnitten waren, daß sie fast nach Freizeitkleidung aussahen. Das aufregendste an der Chanelschau war Lagerfelds Drohung, das nächstemal in New York zu zeigen: „Ich habe keine Lust, der letzte der letzten zu sein“, sagte er nach der Schau im französischen Fernsehen.

Daß sie die letzten sind, hat die Franzosen bis in die Knochen geschock. Vor allem, weil es nicht nur zeitlich gilt. Die New York Times meldete, daß die Chefredakteurinnen der drei größten amerikanischen Modezeitschriften bei den Pariser Schauen fehlten: Anna Wintour von Vogue, Liz Tilberis von Harper's Bazaar und Bonnie Fuller von Glamour waren nach den Mailänder Schauen nach Hause gereist. Einfach so. Das hat es noch nie gegeben!

Aber am schlimmsten trifft die Franzosen der Erfolg der drei amerikanischen Designer in Paris. Alle drei sind vor einem Jahr angetreten: Marc Jacobs bei Louis Vuitton, Narciso Rodriguez bei Loewe und Michael Kors bei Celine. Diesen dreien ist gelungen, was die japanischen Designer und die zwei Engländer Galliano und McQueen nie geschafft haben: Sie haben die französische Mode verändert. Die Bourgeoisie beginnt tatsächlich, das Kostüm mit den Goldknöpfen abzulegen und entdeckt den entspannten Charme der Luxussportswear.

Am erfolgreichsten ist Michael Kors von Celine. Zeichnet sich aus durch Einzelstücke, die man miteinander kombinieren kann. Kein Kostüm mehr, statt dessen sportliche Röcke und Pullover, Hose, Jacke, die man zu beidem tragen kann oder auch zu Jeans. Daß diese Kleider auch als Statussymbole funktionieren, dafür sorgt das luxuriöse Material. Kors zeigte zum Beispiel ein graues Trikot, das mit seinen Knöpfen an Großvaters Liebestöter erinnerte. War aber aus Kaschmir. Darüber ein langer grauweißer Kaninchenpelzmantel. Oder ein Strickkleid, das wie ein langes T-Shirt-Kleid aussieht, nur etwas feiner, nämlich aus rotem Kaschmir mit Pailletten. Darüber ein langer sportlicher Mantel in Beige mit rotem Futter, Reißverschluß und pelzbesetzter Kapuze.

Das ist mehr als ein Trend. Für Frankreich bedeutet es einen Kulturbruch. Das französische Kostüm ist ein Synonym für Hierarchie und Form, etwas, auf das die Franzosen größten Wert legen. Aber wie es aussieht, haben selbst die Französinnen genug davon. Woran liegt das? Die Mode nach französischer Art ist nur noch mit sich selbst beschäftigt. Ungaros Kollektion ist dafür ein gutes Beispiel. Er zeigte eine Art Hippie de Luxe: volantbesetzte magentafarbene Seidenröcke, dazu Nylonjacken, die wie Jeansjacken geschnitten waren. Rüschenblusen und ethnischer Schmuck. Schöne Kleider, nur: Dieses ewige Recycling geht einem echt auf die Nerven. Am schlimmsten ist es bei den jungen Designern, den Zwanzig- bis Dreißigjährigen. Nicht weil sie es am tollsten treiben, sondern weil sie angefangen haben, die achtziger Jahre auszugraben. Gothic ist das markanteste Beispiel. Bei der Vorstellung, jetzt die nächsten zehn Jahre ein Achtziger-Revival präsentiert zu bekommen, überfällt einen das kalte Grausen. Und was kommt danach? Junge Designer, die die Siebziger recyceln, wie sie in den Neunzigern gesehen wurden?

„Der Erfolg der amerikanischen Designer liegt in ihrem professionellen Marketing“, erklärte Yves Saint Laurents Partner Pierre Berge kürzlich in der amerikanischen Fachzeitschrift Womens Wear Daily. „Gaultier hat viel mehr Talent als Ralph Lauren. Aber Lauren hat ein viel größeres Unternehmen, als Gaultier jemals haben wird.“ Zu Recht! Gaultiers Schau am Freitag abend war ein Paradebeispiel für die Sackgasse, in die sich die Franzosen mit ihrem Konservatismus manövriert haben. Gewiß: Die Daunenröcke schwangen wunderbar gravitätisch. Auf weite Tangohosen hatte er alte Jeans aufgenäht. Für den Silvesterball bot er paillettenbesetzte Kilts für beide Geschlechter und paillettenbesetzte Pullover mit Norwegermuster.

Es war eine tolle Kollektion, soweit man das auf dem Bildschirm beurteilen konnte. Ich habe die Schau wie die meisten Journalisten nur im Fernsehen gesehen. Der Saal war so klein, daß viele Journalisten trotz Einladung nicht hineinkamen. Es gibt auch keine aktuellen Fotos. Weil die Fotografen streikten. Sie sollten sich mit 150 Mann auf ein Podium quetschen, das nur für 50 Leute gebaut war. „Lebensgefährlich“, entschieden die Fotografen. Sogar Le Monde, dessen Berichterstatterin ebenfalls nicht eingelassen wurde, klagte: In Frankreich muß man sich die Mode verdienen.

In der französischen Modebranche geht es zu wie am Hof Ludwigs XIV. Eingeladen wird nur, wer an der richtigen Stelle seinen Kratzfuß macht. Akkreditierte Journalisten werden nämlich nicht per se eingeladen, sondern nach Gutdünken der Häuser, von denen jedes extra angeschrieben werden will. Mal wird man eingeladen, mal nicht, es ist ein Lotteriespiel.

Die Pressestellen geben nicht mal ihre Telefonnummern bekannt. Ruft man die im Kalender aufgeführten Nummern an, landet man bei Givenchy, Dior oder Balenciaga beim Pförtner. Nach den Schauen ist es unendlich schwierig, einen Termin für den showroom zu bekommen. Videos sind erst nach 3 Tagen fertig (viel zu spät für die Tagespresse), Anrufe und Faxe werden nicht beantwortet, die Assistentin spricht kein Englisch und wenn sie Englisch spricht, darf sie nichts entscheiden.

Die angereisten Journalisten müssen oft genug feststellen, daß sie nur die Staffage für ein Spektakel der Exklusivität bilden sollen. Denn exklusiv ist eine Schau vor dreihundert Leuten nur, wenn tausend draußen stehen. Ohne diese „Dekoration“ sähe das nur arm aus. Es ist die gute alte höfische Gesellschaft, la „Vieille France“, für die als Kleidungsstück das Kostüm mit den Goldknöpfen steht. Davon haben inzwischen selbst die Franzosen die Nase voll. Bei Celine kauft inzwischen sogar Madame Chirac.

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