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Die fremde Welt der Mütter

■ Neu im Kino: Die Kleinfamilie wird in dem US-Spielfilm „Familiensache“ in wunderbar altmodischer, aber auch konfuser Weise kritisiert und zugleich affirmiert

Bemerkenswerten Mut zur Häßlichkeit bewunderte der Radio-Bremen-Kinomann an Meryl Streep im Vier-Personen-Kammerspiel „Familiensache“. Und er meinte damit nicht nur jene tieftraurigen Schlußszenen, in denen sich rotgeräderte Augen aus einem vom Krebs ausgebleichten Gesicht hilflos in die immer enger werdende Welt hineinbohren. Schon in den ersten Bildern muß Meryl Streep ankämpfen gegen verkommenes Äußeres; da jedoch ganz harmlos gegen Klamotten von unüberbietbarer Albernheit: Für das Geburtstagsfest ihres 55jährigen Ehemanns (William Hurt) hat sich die schon längst nicht mehr taufrische Kate verkleidet in ein wimpernklimpriges Püppchen mit Söck-, Zöpf- und Rüschchen. Streep besteht diese Probe mit Bravour. Noch als lächerlichste Inkarnation verlogener Frauenbilder, wirkt sie stark und weise. Eine Gegenläufigkeit von Innen und Außen, die den ganzen Film durchzieht: Obwohl das Betätigungsfeld der Hausfrau und Mutter winzigklein abgezirkelt ist durch Mediokritäten wie Stricken, Putenbraten und Christbaumschmücken, ist sie der eigentliche große Charakter des Films. Am Ende wird ihr untreuer Ehemann an ihrem Grab jammern: „Ich habe sie wirklich geliebt. Sie konnte so vieles; den Haushalt führen, eine Atmosphäre der Gemütlichkeit verstrahlen ...“ Einen „feministischen Film“ nennt Rainer Gansera in epd-Film diesen Lobgesang auf das Hausfrauentum. Manche Leute haben eben pure Scheiße im Hirn. Ein Hymnus auf die weiße, bildungsbürgerliche Kleinfamilie ist der dritte Spielfilm von Carl Franklin aber auch nicht. Leitmotiv des Films ist das Zusammenpuzzeln von Geschirrscherben: Mal gingen die Teller im Eifer hausfraulichen Perfektionismus zu Bruch, mal in Ärger, Wut, Hilflosigkeit.

„Familiensache“ erzählt von einer erfolgreichen New Yorker Jung-journalistin (Rene Zellweger), die mehr genötigt als freiwillig in das kleinstädtische Elternhaus zurücckehrt, um die krebskranke Mutter in den Tod zu begleiten. Denn der Vater, ein Literaturprof, hat keine Zeit, bosselt er doch noch immer mit lächerlich egomanem Ehrgeiz an der ersehnten Schriftstellerkarriere herum. Immer gründlicher taucht die junge Großstädterin in die fremde mütterliche Welt der Familienfeiern, Frauenzirkel und simplen Lustbarkeiten wie Karusellfahren ein. Natürlich kehrt sie am Ende in ihre aufgeklärte Berufswelt zurück. Aber ihre Verachtung für die Vorväter und –mütter ist dahingeschmolzen. Coming Home: Ein Lieblingsthema der Amis.

Eine bemerkenswert unspektakuläre, geradlinige Geschichte. Die Stärke des Films: seine Widersprüchlichkeit. Es fallen definitiv alle Argumente gegen die Heilige Familie: der elterliche Erwartungsdruck, der auf den Kindern lastet; das Aussöhnen der Ehefrau mit der unerträglichen Promiskuität des Ehemanns; das unentrinnbare Netz aus Selbst- und Fremdbetrug. In einer der stärksten Szenen, möchte die Mutter der Tochter endlich ihr Lebenskonzept plausibel machen: „Laß mich ausreden. Nie hört man mir zu.“ – „Was willst Du mir sagen?“ – „Ich habe schon alles gesagt.“ Unterstüzt durch erzromantische Kammermusik mit sanftem Klaviergeplätscher versenkt sich der Film aber auch mit liebenswerter Engelsgeduld in das Glück des Tortenverzierens und Weihnachtsschmuckbastelns. Kleinigkeiten am Rande, etwa ein Tänzchen der Eheleuten, ein Überraschungsdinner, gemeinsames Christliedsingen von Mutter und Tochter wird von einer Emotionalität durchdrungen, wie in anderen Filmen höchstens mal der allererste Kuß. Ein wunderschönes, sensibles Dokument für die schizophrene Einstellung US-Amerikas gegenüber den alten Werten. Von Journalismus hat Regisseur Franklin aber keine Ahnung: Behauptet der Idiot doch, Journalisten würden ständig rennen, hetzen, kaffeetrinken und die Nächte durcharbeiten. bk

Ab Donnerstag im Europa

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