: Nicht ohne meinen Vater
■ Venero Armanno über Rock, Naturgewalt und seinen Roman „Am anderen Ende der Welt“
Venero Armanno, 1959 als Sohn sizilianischer Einwanderer in Brisbane geboren, ist enorm produktiv: Am anderen Ende der Welt ist sein erster ins Deutsche übersetzte Roman, aber insgesamt sein viertes Buch. Daneben hat er Kurzgeschichten, Drehbücher und ein Theaterstück verfaßt.
taz: Was bedeutet Ihnen Europa, wo Ihre Eltern doch aus Italien stammen?
Venero Armanno: Ich bin zwar gebürtiger Australier, aber als Kind von Immigranten verbindet mich mit dem Land eine Art Haßliebe. Am besten kann ich über Australien schreiben, wenn ich gerade nicht dort bin, sondern in Europa.
Sehen Sie sich als Grenzgänger?
Weder in Europa noch in Australien fühle ich mich wirklich zugehörig. Der wechselnde Blick von außen ist sicher eine Voraussetzung für mein Schreiben.
„Am anderen Ende der Welt“ lautet der deutsche Romantitel Ihres jüngsten Buches. Sie aber haben das Buch „Strange Rain“ genannt.
Das Buch ist wie ein Alptraum. Es beschreibt die Erfahrung eines Städters, der ins Outback fährt. Damit kommt ihm die gewohnte Sicherheit und Orientierung abhanden. Literarisches Vorbild ist für mich Joseph Conrads Herz der Finsternis. Aber nicht zufällig sind die Kapitelüberschriften nach Rock-Songs benannt. Ich sehe Strange Rain wie Rock'n'Roll: laut, kraß, hart.
Joe Santo, der Protagonist Ihres Romans „Am anderen Ende der Welt“, ist in einem abgewrackten Auto unterwegs, die Urne seines Vaters auf dem Armaturenbrett. In Australien kommt so was offenbar vor?
Man schleppt eben seine Vergangenheit mit sich herum! Ich habe tatsächlich einen Schriftsteller kennengelernt, der die Asche seiner Mutter immer bei sich führte. Was Strange Rain betrifft, wollte ich ein Märchen für Erwachsene schreiben, also bewußt extreme, eindringliche Begebenheiten schildern.
Joe Santo ist ein negativer Held. Der Rocksänger hat einen Autounfall verschuldet und das Leben seiner Bandmitglieder wie sein eigenes zerstört.
Joes Fahrt mit seinem verkrüppelten Kollegen Cliff führt ihn ins Herz seines Landes. Es ist auch eine Selbsterkundung mit all ihren Schrecken, ihren brutalen und schmerzlichen Aspekten.
Joe und Cliff fahren durchs Nirgendwo, wie es heißt. Können Sie erklären, was das Outback ist?
Dort sind nicht nur die Wetterverhältnisse unkalkulierbar, sondern auch die Empfindungen. Dann dieses Ausgeliefertsein an die Natur. Dabei ist Angst allgegenwärtig. Die Weite des Outback bedeutet fortwährende Todesgefahr. Eine harte Probe.
Man kann „Strange Rain“ als Entwicklungsroman lesen: Joe beobachtet an sich selbst, daß es leichter ist, „die äußere Welt zu zertrümmern, als ins eigene Herz zu schauen“. Doch er lernt, diese Zerstörungskraft zu überwinden.
Ich will als junger Autor ein Buch für junge Leute schreiben. Über Drastik, über das Extreme der Gefühlslagen. Joe Santo findet zu sich selbst, obwohl seine Zerstörungslust, sein Haß enorm stark sind. Es gibt einen Satz, man müsse seinen Vater töten, um erwachsen zu werden. Das schwingt immer mit. Und sicher ist das Leben gewalttätig, in Australien und anderswo.
Fragen: Frauke Hamann
Lesung: heute, 20 Uhr, Zentralbibliothek, Große Bleichen
Venero Armano: „Am anderen Ende der Welt“, List Verlag, München, 1999. 34 Mark
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