: Gute Laune mit Brief und Siegel
Damit sie nicht länger als „blöde Bergheimer“ verunglimpft werden, müssen 450 Angestellte der Stadt eine „Lizenz für Freundlichkeit“ erwerben. Aus der Metropole des Lächelns ■ Bernd Müllender
Es plästert ausdauernd, und ein fieser Wind fegt durch die typisch deutsche, grottengräßliche Fußgängerzone. Bergheim im Erftkreis, gut 20 Kilometer nordwestlich von Köln, Heimat für 63.000 Menschen, ist eine Stadt, welche unscheinbar zu nennen schon ein Lob sein könnte. Größte Attraktion: ein Stück vernichtetes Bergheim, das riesige Braunkohleloch mitten im Gemeindegebiet.
Und doch will auch ein Hauch von guter Laune durch die Straßen wehen. Dort lachen zwei Alte unterm Regenschirm, hier kichern ein paar Girlies vorbei. „Wir vermitteln Zufriedenheit“, lockt die Bausparkasse, und selbst die traurigen Deko-Clowns im Schaufenster von „Möbel Dahmen“ scheinen richtig zu lächeln. Sind das Vorboten der neuen Zeit?
Alles nur selektive Wahrnehmung. Würde Manfred Bohn sagen. Bohn ist Kommunikationstrainer. Er leitet das Freundlichkeitsseminar für die 450 Amtsbediensteten der rheinischen Kreisstadt. Der Kurs ist Kernstück großer Bergheimer Ziele, der Bürgermeister will bald dem „freundlichsten Rathaus Deutschlands“ vorstehen. Bohns Vision ist gar „die freundlichste Stadt Deutschlands“.
Dreimal wöchentlich, bis Ende April, kommen je 15 Stadtbedienstete in Bohns Institut. Heute sind es Bauamtsleiter, Abfallberaterin, Standesbeamtin, einer vom Ausländeramt, Bürokräfte. Sie sitzen in einem großen, hellen Raum im Halbrund vor einer flackernden Kerze und mühen sich um ein lokkeres, offenes Gesicht. Drumherum Stelltafeln mit Smilies, Sprüchen, Botschaften und sogar einer regionspezifischen Luftschlange.
Kursleiter Manfred Bohn, ein gemütlicher Bartmensch von gut zwei Zentnern, komplett schwarz gekleidet, Zweireiher, Designerbrille, nimmt die Anfangshemmungen. „Um ernst zu gucken, braucht man 30 Gesichtsmuskeln. Zum Lächeln nur zehn. Warum sollen wir uns anstrengen?“ Einige üben spontan. Zwei gucken sich dabei zufällig an und müssen lachen. „Sie kennen doch alle das Wald-rein-raus-Prinzip: Freundlichkeit kann man nicht verschenken, die kriegt man immer zurück.“
Sie diskutieren über den Umgang mit Menschen, die „Kunden“ heißen, nicht mehr „Antragsteller“. Wie man „Harmoniefaktoren finden kann“. Daß man mal zurückseufzt, wenn ein Bürger stöhnt. „Das schafft Vertrauen, etwas Nähe.“ Was, wenn ein Kunde Platt spricht, fragt jemand. „Auf Platt antworten, wenn Sie es können“, sagt Bohn. Selbstbewußtsein, Teamwork, Verständnissuche. Wie wirke ich auf jemanden? Nicht mehr ein scheinfreundliches „Was kann ich für Sie tun?“, sondern ein gemeinschaftliches und wechselwirksames: „Was kann ich für uns tun?“ Man staunt.
Teilnehmer Willi Instenberg, 43, will etwas für alle sagen. Er murrt in der ersten Pause in die Runde: „Also, ich bin da sehr skeptisch. Ist doch alles bloß Theorie, oder?“ Er erntet kaum Resonanz. „Ich arbeite auf dem Sozialamt“, erzählt er, „das ist der stressigste Job, weil man mit Menschen zu tun hat. Bei manchen weiß ich ganz genau, wie sie einen über den Tisch ziehen wollen. Da soll ich Freundlichkeit üben und Kontakt machen?“ Dann motzt er über die Seminarpflicht und über die Kosten der Veranstaltung: „Das Geld fehlt doch für die fachliche Weiterbildung.“ Sind ein paar zehntausend Mark viel?
Ausgerechnet Bergheim ist diesmal ganz vorn. Die Stadt gilt sonst rheinlandweit als Ikone der Provinzialität, ist das Kölner Spottobjekt Nummer 1. Das gängige Bild vom „blöden Bergheimer“ hat seinen Ursprung vor 200 Jahren, als ausgerechnet ein hintertriebener Kölner Scharlatan die Bäuerlein mit clever inszenierter Höllenangst drohte und ihnen zur Seelenreinigung der Taler Tausende abluchste. Und sich schlapp lachte.
Heute wissen es die Bergheimer besser und zitieren den Kabarettisten Konrad Beikircher: „Hinter Bergheim beginnt das geistige Wattenmeer.“ Bergheimer betonen den Satz natürlich auf „hinter“! Gern erzählen sie auch, daß direkt nebenan in Küchelhofen schon Altbier statt Kölsch durch die Zapfhähne fließe und dieses ohne die tapfere Bastion Bergheim längst auch über Köln geschwappt sei. Und daß es ein Bergheimer Schulchor war, der vor drei Jahren im Kölner Dom sang, die mitgereisten Eltern danach freudig klatschten, der böse Erzbischof Joachim Meisner sich solches als ungehörig verbat, worauf die aufmüpfigen Bergheimer die übrigen Besucher zu noch lauterem Klatschen anstachelten.
Im Kurs von Herrn Bohn machen die Diener der Stadt heute Wahrnehmungsübungen, sammeln Assoziationen zum Wort Freundlichkeit. Offenheit könnte das sein, Respekt, Sympathie, Akzeptanz... Den Vorgesetzten sagt der Kursleiter: „Erwischen Sie Ihre Leute doch mal dabei, wenn sie gut waren und engagiert.“ Vielleicht könnte ein Angestellter in Zukunft, wenn es heißt, „Sofort zum Chef“, auch mal spontan denken: „Oh, wofür will er mich jetzt schon wieder loben...“ Man solle Vertrauen schaffen mit Argumenten und keines abblocken mit Paragraphen. „Nicht erst loben und dann ein riesiges Aber! Das ist Mißbrauch von Lob.“ Während der Mittagspause dann lacht gegen alle Vorhersagen freundlich die Sonne. „Auch das Wetter hat zugehört“, scherzt einer.
Deutschland, Dienstleistungswüste. Land der schlechten Laune und der mürrischen Menschen, wo Service bedeutet: „Kollege kommt gleich“ — und doch wegbleibt. Aber es ändert sich was. Karstadt hat vor einer Weile eine Nettigkeitsoffensive gestartet und schleust alle seine 60.000 MitarbeiterInnen positiv denkend durch psychologische Crash-Kurse. Der Gewerbeverband Passau ruft zum vielbesuchten „niederbayerischen Motivationsforum“, in Aachen macht der Kommunikationstrainer Globo, ein ehemaliger Bühnenclown, Kurse in Humortherapie. Und in Krefeld will ein Sozialpädagoge mit gemeinschaftlichem Haha und Hoho „Verkrampfungen und Krankheiten vorbeugen“. Anwendungsgebiete: privat wie beruflich.
Auch in Gemeinden passiert hier und da etwas: etwa in Bad Harzburg, wo Verwaltungsbeamte Workshops über „aktives Zuhören“ und „zielorientiertes Führen“ besuchen. Ein ganzes Rathaus allerdings hat bisher noch keiner trainiert, schon gar nicht mit dem werbewirksamen Titel „Lizenz für Freundlichkeit“ wie in Bergheim. Ein PR-Gag?
Unfug, sagt Bürgermeister Jürgen Peters, ein 50jähriger SPD- Mann. Der Initiator des Seminars schwärmt vom Wandel seiner Behörden. Vieles sei dezentralisiert, auch samstags geöffnet, ein genehmigter Bauantrag heiße zwar wie gehabt „Bescheid“, erreiche den Kunden aber mit Glückwünschen. „Der Bürger muß sich im Rathaus wohlfühlen. Und es geht nicht an, daß man automatisch einen Schreck bekommt, wenn ein amtlicher Briefumschlag im Kasten liegt.“
Peters benutzt Begriffe wie Produktorientierung, Kreativität, Arbeitsphilosophie, Spaß im Dienst. „Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, aber wir betrachten es neu.“ Dabei lief nicht gleich alles glatt. Zu Beginn der Aktion, stöhnt der Bürgermeister, als sie symbolisch ein weißes Pferd mit reichlich Tamtam als Amtsschimmel durchs Stadttor gejagt hatten, da zeigten sich etliche Mitarbeiter irritiert. So etwas, meint er, tue man doch nicht. Was sollen denn die Bürger denken? Jetzt konzentriert man sich auf pragmatische Ziele. Schließlich soll das Seminar den Krankenstand senken und der Stadt Gelder ersparen. Mit frischgeschöpftem Selbstbewußtsein, so hofft man, werden die Mitarbeiter den Bürgern ungewohnt gute Laune präsentieren. Manche Kunden, sagt eine, seien „muffig, weil sie im Amt Muffigkeit erwarten“. Eben, sagt Bohn.
Verwaltungsseminaristen sind keine einfache Klientel, weiß der Kursleiter und erzählt von einer Kreativitätsübung neulich. Mit einem großen Bogen Pappe, einer Schere und einem Tacker sollten die Schüler einen Turm basteln, der möglichst hoch, standfest und originell sein sollte. Das Modell der Beamten geriet zum Klotz, „gerade zehn Zentimeter hoch, völlig langweilig, stand aber wie 'ne Eins“. Eine Gruppe von Werbemenschen in einem anderen Seminar „zerschnibbelte den Karton in winzige Teile, baute den Eiffelturm nach und schaffte unglaubliche 2,60 Meter Höhe. Lange nicht so stabil, aber hochwitzig.“
Doch bitte, keine Wertung, sagt Bohn. „Wir brauchen solche Sicherheitstypen, die zuverlässig sind, exakt und verläßlich ihre Arbeit tun. Die flexiblen, aufgeschlossenen, wagemutigen sind seltener und haben sich meist andere Berufe gesucht.“ Indes: „Manche aus dem Rathaus sind richtig begierig, Neues auszuprobieren, und haben schon was live am Arbeitsplatz angewendet.“
Abschlußrunde. Ja, sagen alle, der Tag sei durchweg gewinnbringend gewesen, erhellend, pfiffig. Vor allem war er sehr unterhaltend, weil Bohn ein brillanter Entertainer ist. Standesbeamtin Marita Fried hofft, daß über Fernseh- und Zeitungsberichte verständlich werde, „warum wir so sind, wie wir sind“. Nur Willi Instenberg bleibt skeptisch. „Im Grunde war es nur die Darstellung von Lebenserfahrung. Morgen früh geht alles wieder wie gehabt.“ Wenn er Kollegen raten sollte, wäre seine Empfehlung: Laßt es. Dann doch lieber Dienst schieben. Trotzdem bekommt auch er seine persönliche Lizenz. Der Inhaber dieser Urkunde, heißt es, „ist auf Dauer ermächtigt, Freundlichkeit und benachbarte Verhaltensweisen wie Zugewandtheit, Humor etc. in unbegrenzter Quantität entgegenzunehmen sowie mit hoher Qualität auch abzugeben“. Direkt in die Amtsstube kommt das Dokument. Und den Bergheimer Bürgern zugute, hoffentlich. Draußen hat es wieder angefangen zu regnen.
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